Management

«Mehr Regeln führen nicht unbedingt zu mehr Vertrauen»

alex.gertschen@sqs.ch

Alex Gertschen

Veröffentlicht am: 05.06.2024

Lesedauer

ca. 3 Minuten

Die SQS hat 2023 den höchsten Umsatz ihrer Geschichte erzielt. Für Präsidentin Andrea Grisard und CEO Felix Müller ist die Konformitätsbewertung aber mehr als ein Geschäft: Sie sind überzeugt, dass die SQS mit ihren Kernaktivitäten einen Beitrag gegen eine zunehmende Misstrauenskultur leiste. 

CEO Felix Müller und Präsidentin Andrea Grisard im Gespräch

Andrea Grisard und Felix Müller beim Gespräch an der SQS-Geschäftsstelle in Zollikofen bei Bern.

Andrea Grisard, Felix Müller: Was bedeutet für Sie Glaubwürdigkeit? 

Andrea Grisard: Sie hat mit Eigenschaften wie Kompetenz, Objektivität, Zuverlässigkeit, Integrität und Ehrlichkeit zu tun. Das gilt nicht nur für eine Konformitätsbewertungsstelle wie die SQS. Auch im persönlichen Umgang ist für mich nur glaubwürdig, wer ehrlich und kompetent ist. 

Felix Müller: Genau solche Eigenschaften spiegeln sich in unseren Grundwerten und dem Geschäftsethik-Kodex, den wir 2023 erarbeitet und publiziert haben. Denn für uns ist Glaubwürdigkeit sowohl Voraussetzung als auch Produkt unserer Tätigkeiten. Unsere Kunden wollen mit unseren Konformitätsbewertungen Glaubwürdigkeit erlangen oder stärken. In diesem Zusammenhang ist mir noch ein weiterer Begriff wichtig… 

 

Welcher? 

Müller: Authentizität. Sie geht meines Erachtens über die Ehrlichkeit hinaus und bedeutet auch einen offenen Umgang mit Fehlern. Eine kritische Selbstreflexion. Wenn wir uns und unseren Kunden gegenüber authentisch sind, stärken wir unsere Glaub- und dadurch auch unsere Vertrauenswürdigkeit. 

 

In demokratischen Gesellschaften wie der Schweiz scheinen wirtschaftliche und politische Akteure diese Eigenschaften zu verlieren – sei es durch fehlende Information, Falschinformation oder Selbstverschulden. 

Müller: Ich beobachte tatsächlich das Ausbreiten einer Misstrauenskultur. Die Leute leben zunehmend in ihrer eigenen Blase… 

Grisard: Politische, wirtschaftliche oder kulturelle Unterschiede führen stärker als früher dazu, dass sich die Menschen voneinander abgrenzen. Technologische Einflüsse und die sozialen Medien helfen nicht.  Fake-News, verkürzte oder einseitige Informationen sind Gift für eine gesunde Diskussions- und Streitkultur. Es gibt viel mehr Meinungsmacher wie Influencer mit einem jeweils eigenen Publikum. Das erschwert den Konsens darüber, wem und was man Glauben schenken soll. Ich erlebe das auch im Privaten. 

 

Wie? 

Grisard: Ich habe zwei Kinder im Schulalter. Wir haben im Familien- und Freundeskreis regelmässig Diskussionen über Lebensmittel und eine gesunde Ernährung. Dabei stelle ich fest, dass gewisse Eltern nicht glauben, was auf der Verpackungsetikette steht, weil sie anderswo andere Informationen aufgeschnappt haben. Wenn ein Produkt in der Schweiz als koffeinfrei deklariert ist, glaube ich dies grundsätzlich… 

Müller: …und wenn die Angabe nicht stimmt, ist dies eine grosse Abweichung von der Lebensmittelsicherheits-Norm! Dieses Beispiel zeigt, wie wir mit unserer Arbeit Glaubwürdigkeit ermöglichen und damit einen Beitrag zum Vertrauen in der Gesellschaft leisten. Die meisten unserer Begutachtungen beziehen sich auf den B2B-Bereich, also Beziehungen zwischen Geschäftspartnern. Aber sie wirken sich darüber hinaus positiv aus, bis hin zu den Konsumentinnen und Konsumenten. 

Die SQS hat 2023 mit 48 Mio. Franken den höchsten Umsatz ihrer Geschichte erzielt. Ein Zyniker würde sagen, in einem Umfeld des Misstrauens floriere das Geschäft mit der Glaubwürdigkeit… 

Müller: Es ist sicher so, dass uns die Bestrebungen von staatlichen und privaten Regulatoren, Missständen und damit dem Misstrauen entgegenzuwirken, zugutekommen können. Ich denke an neue Anforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit, der Korruptionsbekämpfung, des Datenschutzes oder der künstlichen Intelligenz. Aber zum einen sind wir selbst auch die Adressaten von immer mehr und immer detaillierteren Compliance-Anforderungen. Diese wirtschaftlich und im Sinne der Kunden umzusetzen, ist eine grosse und wachsende Herausforderung. 

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Felix Müller, CEO der SQS.

Und zum anderen? 

Müller: Mehr Regeln führen nicht unbedingt zu mehr Vertrauen. Sie können es sogar untergraben, wenn sie die Komplexität und den Aufwand für die Beteiligten über die Massen steigern. Dann beisst sich die Katze in den Schwanz. 

Grisard: Die Schweiz hat sich durch eine zurückhaltende «harte» Regulierung der Wirtschaft ausgezeichnet. Das müssen wir beibehalten. 

 

Trotz der Regulierung immer neuer Bereiche: Die SQS erwirtschaftet nach wie vor den allergrössten Teil ihrer Erträge mit der Zertifizierung von ISO-Managementsystemen. Ist das nicht ein Klumpenrisiko? 

Müller: Nein. Einerseits wachsen wir nicht nur mit den drei Kernnormen zu Qualitäts- und Umweltmanagement sowie zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Ich denke insbesondere an die ISO 27001 zu Informationssicherheit. Andererseits sind wir allein mit diesen vier Normen in allen Branchen der Schweizer Wirtschaft präsent. Dies sorgt für eine grosse Risikodiversifizierung. 

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Andrea Grisard, Präsidentin der SQS.

Sie betonen im Editorial des Unternehmensberichts 2023, die SQS sei eine «menschliche» und «solidarische» Gemeinschaft. Warum? 

Grisard: Weil dies ein Erfolgsfaktor ist. Die SQS ist die führende Zertifizierungsstelle in der Schweiz geworden, weil sie ihren Mitarbeitenden Sorge trägt. 

Müller: Wir sind eine Expertenorganisation, in der alle aufeinander angewiesen sind, um für den Kunden die bestmögliche Leistung zu erbringen. Gegen innen gilt dasselbe wie gegen aussen in den Beziehungen zu den Kunden: Eine funktionierende, vertrauensvolle Beziehung ist die Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Das geht nicht, ohne den anderen zunächst als Menschen zu sehen und zu respektieren. 

Grisard: Wir verstehen die Aussage aber auch als Aufforderung. Wir müssen noch besser Hand in Hand arbeiten. Deshalb entwickeln wir zurzeit eine Zielorganisation, in der jeder seine Stärken noch besser einbringen kann. 

Warum besteht Verbesserungsbedarf? 

Müller: Aus zwei Gründen. Zum einen ist die SQS in den letzten Jahrzehnten als Netzwerk organisch gewachsen. Dabei sind die Aufgabenrucksäcke der Mitarbeitenden schleichend immer voller geworden… 

Grisard: …zum Beispiel müssen die Auditierenden viel Administratives erledigen. Sie sollen davon entlastet werden, damit sie sich auf ihre Kernaufgabe und -kompetenz konzentrieren können. 

Müller: Das bringt mich zum zweiten Grund. Wie erwähnt, werden die Compliance-Anforderungen an uns immer umfangreicher und detaillierter. Wie setzen wir diese sinnvoll um? Wie arbeiten wir konform und wirtschaftlich, im Sinne der Kunden und der Mitarbeitenden? Um diese Herausforderungen zu bewältigen, müssen wir unsere Prozesse und uns als Organisation weiterentwickeln.

Woraus besteht diese Zielorganisation, und bis wann soll sie umgesetzt sein? 

Grisard: Wir sind auf Vorstands- und Geschäftsleitungsebene daran, die Grundlagen zu erarbeiten. Planung und Umsetzung werden bestimmt noch einige Zeit in Anspruch nehmen. 

Müller: Der Wandel findet aber bereits statt, namentlich mit der für 2025 geplanten Einführung von MS Dynamics 365 als neuer Software für das Enterprise Resource Planning (ERP). Auch die partizipativen Gruppen, die zu den Themen «Kultur & Kommunikation», «Leadership & Organisation», «Human Resources» und «Prozesse» kontinuierliche Verbesserungsprozesse vorantreiben, bringen uns im Wandel weiter [vgl. «Strategische Ereignisse und Entwicklungen» im Unternehmensbericht, Anm. d. Red.]. 

Unternehmensbericht 2023

Die Leitung der SQS hat an der Mitgliederversammlung am 4. Juni 2024 in Zollikofen den Unternehmensbericht 2023 präsentiert. Dieser ist im Vergleich zu den Vorjahren umfassender und neu entlang von vier Kapiteln strukturiert: Kapitel 1 «Nachhaltige Unternehmensführung», Kapitel 2 «Geschäftsmodell und Geschäftsgang», Kapitel 3 «Soziales» und Kapitel 4 «Umwelt».

Zum Unternehmensbericht

Steht dabei auch die juristische Person der SQS als Verein zur Disposition? 

Grisard: Tatsächlich sind unsere Mitbewerber in der Regel Aktiengesellschaften. Für uns bedeutet die Vereinsform eindeutig einen Vorteil. Bei uns stehen nicht die Profitinteressen eines Eigentümers im Zentrum, sondern die Bedürfnisse des Kunden. 

Müller: Kunden sprechen uns regelmässig darauf an. Sie halten einen Verein grundsätzlich für geeigneter, um unparteilich, neutral und damit glaubwürdig zu begutachten. Die Vereinsform erleichtert uns, auch andere Stakeholder-Interessen wahrzunehmen. Zum Beispiel befinden sich unter unseren Mitgliedern viele der relevanten Dach- und Branchenverbände, die die Schweizer Wirtschaft repräsentieren. Ich denke insbesondere auch an unsere Mitarbeitenden: Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber und wollen dies bleiben! 

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