Zertifizierung und Akkreditierung: ein System zur Prüfung von Anwendern und Prüfern
Veröffentlicht am: 14.03.2023
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Das internationale System von Normen und Standards hat sich in praktisch allen Ländern und Branchen etabliert. Diese Entwicklung kann nicht ohne die Zertifizierung und Akkreditierung erklärt werden. Sie sind institutionelle Vorkehrungen, um die Normanwendung sicherzustellen und glaubwürdig zu kommunizieren. Sie schaffen Vertrauen, indem neben den Normanwendern auch deren Prüfer kontrolliert werden – zum Beispiel die SQS.
Das Schweizer Normenwerk zählt fast 27 000 Einträge aus den Bereichen Metall und Maschinen, Architektur- und Ingenieurwesen, Elektrotechnik, Strassen und Verkehr, Uhren, Telekommunikation und Interdisziplinäres (vgl. Grafik). Nur rund 600 dieser Normen sind von nationalen Akteuren erlassen worden. Alle anderen hat die dafür zuständige Schweizerische Normen-Vereinigung von internationalen Normentwicklern wie der Internationalen Organisation für Normung (ISO) übernommen, bei denen sie als Mitglied Einfluss nehmen kann.
Das Schweizer Normenwerk umfasst fast 27'000 Regeln. Sie sind eingeteilt in die Bereiche Metall und Maschinen (vertreten durch den Verband Swissmem), Architektur- und Ingenieurwesen (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein), Elektrotechnik (Verband Electrosuisse), Strassen und Verkehr (Verband der Strassen- und Verkehrsfachleute), Uhren (Verbandsabteilung NIHS), Telekommunikation (Veband asut) und Interdisziplinäres (direkt durch die SNV vertreten).
Das Schweizer Normenwerk ist dadurch Teil eines internationalen Systems, das sich in den vergangenen Jahrzehnten in praktisch allen Ländern und Branchen etabliert hat und die globale Arbeitsteilung massiv erleichtert. Die Expansion und Wirksamkeit dieses Systems sind eng mit der Zertifizierung und Akkreditierung verknüpft. Erstere bescheinigt einer Organisation, dass sie die Anforderungen einer Norm erfüllt. Letztere gewährleistet, dass die Zertifizierungsstellen, die die Anwender auditieren und zertifizieren, ihrerseits die Vorgaben einhalten. In diesem Blogbeitrag zeigen wir anhand der SQS – der ersten und wichtigsten Zertifizierungsstelle in der Schweiz – auf, warum und wie die Zertifizierung seit den 1980er-Jahren ihre Bedeutung erlangt hat. Im nächsten Blogbeitrag werden wir auf die Akkreditierung eingehen.
Mit einer Zertifizierungsstelle gegen die «Auditflut»
Die Entwicklung des Normensystems ist aufs Engste mit der wirtschaftlichen Globalisierung verknüpft. Die Internationale Fernmeldeunion (1865) und die Internationale Elektrotechnische Kommission (1906), neben der 1947 gegründeten ISO die massgeblichen Entwickler internationaler Normen, wurden im Kontext der sogenannten ersten Globalisierung ins Leben gerufen. Sie hob in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an und ging mit dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) abrupt zu Ende. Die zweite Globalisierung setzte in den 1970er-Jahren ein und hält – trotz der wachsenden Gefahr von Protektionismus und Handelskriegen – weiter an. Sie ist der Kontext, in dem das heutige Normensystem mit einer international koordinierten Zertifizierung und Akkreditierung entstanden ist.
Diese Entwicklung lässt sich anhand der SQS aufzeigen, die – 1983 gegründet – ihrerseits ein Kind der zweiten Globalisierung war und bald zu einer treibenden Kraft für den Aufbau der internationalen Zertifizierungsinfrastruktur wurde. Die 1980er-Jahre waren durch den Trend hin zur Qualitätssicherung (QS) von Organisationen und deren Leistungen gegenüber Vertragspartnern und Kunden geprägt. Nachweisführung über die Qualitätsfähigkeit sollte dabei Lieferketten einschliessen und so die Qualitätsrisiken für Abnehmer und die damit verbundenen negativen Auswirkungen minimieren. Die Prüfung der QS erfolgte in der Regel durch Vertragspartner oder von diesen beauftragte Drittstellen mittels Audits. Im Fokus standen vielfach Grossprojekte von internationalen Auftraggebern – zum Beispiel im Bereich des Kraftwerksbaus – oder die öffentliche Beschaffung wie bei Rüstungsaufträgen.
Räderwerke der Normalität
Dieser Text beruht auf einem Beitrag, den der ehemalige stellvertretende SQS-CEO und IQNET-Präsident René Wasmer für das Buch «Räderwerke der Normalität. Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen» geschrieben hat. Die SQS gibt das Buch im Verlag NZZ Libro anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens heraus. Es zeigt auf, wie Normen und Standards es Unternehmen sowie anderen Organisationen erlauben, hohe Erwartungen zuverlässig zu erfüllen – und so in der Schweiz zu einer Normalität beitragen, die alles andere als normal ist. Das Buch ist von Journalistinnen, Wissenschaftlern und weiteren Experten wie René Wasmer geschrieben worden und erscheint im Mai auf Deutsch sowie – als E-Book – auf Englisch, Französisch und Italienisch.
Es entwickelte sich eine eigentliche «Flut» an Audits – und mit ihr das Bedürfnis in der Schweizer Industrie, vonseiten einer neutralen Prüfstelle einen international anerkannten Qualitätsausweis zu erhalten. Statt zahlreicher Audits durch die Kunden sollte nur noch eines durch eine solche Prüfstelle durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund wurde 1983 die SQS gegründet. Der Vereinszweck war, mittels Begutachtung und Zertifizierung von Qualitätssicherungssystemen «die Bestrebungen der Schweizer Wirtschaft auf den Gebieten der Produkte- und Dienstleistungs-Qualität und der Produktivität» zu fördern und unterstützen.
Dieser breite Auftrag spiegelte sich in der Trägerschaft. Zu den zehn Gründungsmitgliedern zählten Bundesbehörden und -betriebe, Wirtschaftsverbände, Handelskammern sowie andere wirtschaftsnahe Akteure. Die SQS war fortan nebst der British Standards Institution die weltweit einzige Organisation, die solche Qualitätssicherungszertifikate anbot – aber nicht lange. Ab Mitte der 1980er-Jahre setzte in Europa ein starkes Wachstum an Zertifizierungsstellen für Qualitätssicherungs- und Managementsysteme ein. Getrieben wurde es durch die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes sowie durch Regulierungen, die der Qualitätssicherung und den Konformitätsnachweisen für das Inverkehrbringen von Produkten eine neue Bedeutung verliehen.
Unternehmerisches Zertifizierungsverständnis
Die SQS war beim Aufbau dieser Zertifizierungsstellen eine gefragte Partnerin, weil sie bereits über Markterfahrung verfügte. In dieser Führungsrolle gründete sie 1990 zusammen mit sieben weiteren Partnern, die die Grundwerte eines hohen Qualitätsstandards und einer ausgeprägten Wirtschaftsorientierung teilten, das European Certification Network, das später im Zuge seiner Internationalisierung in International Certification Network (IQNET) umbenannt wurde.
Das Netzwerk bezweckte eine hohe Marktrelevanz und breite Anerkennung von Zertifikaten durch die Kooperation und Kompetenz seiner Mitglieder. Die IQNET-Zertifizierungsstellen sollten gleiche oder vergleichbare Verfahrensweisen anwenden, was die gegenseitige Anerkennung der Prüfergebnisse und damit eine breite Akzeptanz der Zertifikate ermöglichte.
Der Ansatz von IQNET war – und ist – jener der Selbstregulierung. Die Zertifizierungsstellen, die ihm angehören, prüfen sich regelmässig mittels Peer-Assessments. Damit die Mitglieder die Anforderungen erfüllen, betreibt IQNET ein Weiterbildungsprogramm. Zudem hat es ein Best-Practice-Bewertungsmodell und Maturity-Rating entwickelt. Es dient dazu, neben Compliance-Kriterien auch die unternehmerische Komponente der Zertifizierungsstellen zu prüfen und zu messen, sie mittels Benchmarks gezielt zu fördern und damit den Nutzen des IQNET-Systems sicherzustellen.
Für die SQS ist immer klar gewesen: Normen und Standards sind ein Mittel zum Zweck, die Qualität und Zusammenarbeit innerhalb der Schweizer Wirtschaft und gegen aussen zu fördern bzw. zu erleichtern. Sie prägte deshalb nicht nur die Institutionalisierung, sondern auch die unternehmensorientierte Entwicklung von IQNET massgeblich.
Während IQNET die internationale Vernetzung und den Kompetenzaufbau der Zertifizierungsstellen vorantrieb, entwickelte die ISO normative Grundlagen. 1995 führte sie mit der ISO-17000-Reihe die ersten Normen für die Konformitätsbewertung ein. Sie richteten sich nicht an die Anwender von Managementsystemnormen – wie zum Beispiel die ISO 9001 zu Qualitätsmanagement – sondern an die Prüfer. Ziel war es, die zentralen Themen verlässlicher und wirksamer Prüfungen abzubilden und Unterschiede in den Vorgehensweisen zu vermeiden.
Die Entwicklung von Konformitätsbewertungsnormen war das eine, ihre Durchsetzung das andere. Komplementär zum Selbstregulierungsansatz von IQNET wurde deshalb in den 1990er-Jahren jener der staatlich regulierten Akkreditierung entwickelt. Dieser ist der Gegenstand unseres nächsten Blogbeitrags.
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