Zertifizierte Lohngerechtigkeit für Unternehmen
Veröffentlicht am: 21.07.2021
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ca. 5 Minuten
Grössere Unternehmen hat der Gesetzgeber jüngst zu einer Lohngleichheitsanalyse verpflichtet. Ihnen bietet sich nun die ideale Gelegenheit, darauf aufbauend das «Fair Compensation»-Label zu erlangen. Mit diesem Zertifikat heben sie sich als verantwortungsvolle Arbeitgeber von ihren Mitbewerbern ab.
Das Thema Lohngleichheit ist für grössere Schweizer Unternehmen aktueller denn je. Das revidierte Gleichstellungsgesetz (GlG) verpflichtet sie alle vier Jahre zu einer Lohngleichheitsanalyse. Ende Juni 2021 war diese erstmals fällig. Alle Schweizer Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden sind demnach verpflichtet, die Lohngleichheit statistisch zu evaluieren. Doch mit der Lohngleichheitsanalyse allein ist es noch nicht getan. Weiter schreibt der Gesetzgeber vor, dass die Unternehmen bis Ende Juni 2022 ihre Analyse durch eine externe Stelle überprüfen lassen müssen (siehe Tabelle).
1. Juli 2020 |
GlG-Revision und Verordnung treten in Kraft |
---|---|
1. Juli 2020 bis 30. Juni 2021 |
Durchführung einer Lohngleichheitsanalyse |
bis 30. Juni 2022 |
Überprüfung der Lohngleichheitsanalyse durch eine externe Stelle |
bis 30. Juni 2023 |
Information von Mitarbeitenden sowie Aktionärinnen und Aktionären über das Ergebnis der Lohngleichheitsanalyse |
Grund für die neue Gesetzgebung ist, dass Frauen durchschnittlich 19 Prozent weniger verdienen als Männer, obwohl es das Gleichstellungsgesetz seit 1995 gibt. Das hat die Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik im Jahr 2018 ergeben. Der unerklärte Anteil dieses Lohnunterschieds beträgt 45,5 Prozent. Die Selbsteinschätzung der Unternehmen stimmt häufig nicht mit diesem Bild überein. Gemäss einer Studie aus dem Jahr 2015 sind 77 Prozent der Unternehmen der Auffassung, dass die Lohngleichheit bei ihnen vollumfänglich realisiert sei1. Eine andere Studie ergab jedoch, dass die Hälfte jener befragten Unternehmen, die bereits eine Lohngleichheitsanalyse durchgeführt hatten, in der Folge Korrekturmassnahmen vornahmen2. Zeigt die Evaluation, dass ein Unternehmen die Lohngleichheit einhält, muss es von Gesetzes wegen keine weiteren Lohngleichheitsanalyse mehr durchführen. Die Arbeitgeber werden dadurch aber sensibilisiert, weshalb laut Bundesamt für Justiz zahlreiche Unternehmen auch freiwillig regelmässige Untersuchungen durchführen.
Organisationen, die über das gesetzliche Minimum hinausgehen wollen, sollten die Gelegenheit beim Schopf packen und gleichzeitig das Label «Fair Compensation» anstreben. Die Schweizerische Vereinigung für Qualitäts- und Managementsysteme (SQS) zertifiziert damit gelebte Lohngerechtigkeit in Unternehmen. Organisationen können so ihr Lohngefüge und -system nach anerkannten Kriterien überprüfen lassen und erhalten von der unabhängigen SQS eine differenzierte Rückmeldung. «Fair Compensation» deckt mehr als die gesetzlichen Anforderungen ab, da sich zertifizierte Unternehmen über drei Jahre hinweg vertieft mit dem Thema Lohngleichheit befassen müssen. Dabei werden sie von Vergütungsberaterinnen und -beratern fachkundig unterstützt. Das Zertifikat wird von der SQS in Zusammenarbeit mit der klingler consultants ag und der Association of Compensation & Benefits Experts (acbe) angeboten.
1 Studie M.I.S. Trend / CentrePatronal, 2015 (660 befragte Unternehmen)
2 Studie Infras/ Bundesamt für Justiz, 2015 (1305 befragte Unternehmen)
Mehrwert dank Verbesserungsmöglichkeit
Im Grundsatz ähneln sich die Methoden der gesetzlichen Lohngleichheitsanalyse und jene von «Fair Compensation» stark. Die Basis bildet eine wissenschaftlich fundierte Evaluation der Lohngleichheit im Unternehmen. Bereits die erste Zertifizierungsstufe «Fair Compensation» bietet dank der Möglichkeit, sich über drei Jahre hinweg zu verbessern, jedem Unternehmen einen Mehrwert. Die optionalen Stufen «Good Practice in Fair Compensation» und «Excellence in Fair Compensation» beleuchten nebst dem Geschlecht zusätzliche Kriterien für die Lohngleichheit wie das Alter und die Nationalität. Der Fokus liegt dabei nicht mehr auf der unternehmensweiten Analyse, sondern auf einer funktionsbezogenen Betrachtungsweise. Dies macht vor allem in grösseren Unternehmen Sinn, in denen mehrere Personen die gleiche Arbeit verrichten.
Unternehmen, die in der Schweiz über 100 Mitarbeitende beschäftigen, erfüllen dank der durchgeführten Lohngleichheitsanalyse bereits jetzt die Anforderungen, um den Zertifizierungsprozess für «Fair Compensation» zu starten. Sie verfügen nach der abgeschlossenen Evaluation über alle benötigten Daten. Doch auch für Organisationen mit mindestens 50 Mitarbeitenden ist die Zertifizierung nach «Fair Compensation» möglich. Kleinere Unternehmen müssen Alternativen zu den verbreiteten statistischen Methoden anwenden.
Nebst der Unternehmensgrösse sind die Datenverfügbarkeit und -qualität diejenigen Faktoren, die den Aufwand für eine Lohngleichheitsanalyse hauptsächlich beeinflussen. «Je nach Ausgangslage startet die Zusammenarbeit mit dem Kunden an einem anderen Punkt», sagt Samuel Link, Projektleiter bei der klingler consultants ag und Fachverantwortlicher Zertifizierungen bei der acbe.
Der Zertifizierungsprozess beginnt zumeist mit einem Vorgespräch. Wichtig ist im Rahmen dessen, die Bedürfnisse zu definieren und die Ausgangslage zu klären. Gemeinsam wird auch eruiert, ob allenfalls eine Vorstudie sinnvoll ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn unklar ist, ob der Stand der Lohngleichheit im Unternehmen den Anforderungen des Zertifikats entspricht. Basierend auf dem Gespräch erstellt klingler consultants eine Offerte und der Entscheid für die weitere Zusammenarbeit wird gefällt.
Beim Kick-off werden die Daten übergeben und der Zeitplan festgelegt. Fachleute von klingler consultants führen das Zertifizierungsaudit durch. Ihren Ergebnisbericht übergeben sie an die SQS, welche auf dieser Basis über die Ausstellung des Zertifikats entscheidet. In den darauffolgenden beiden Jahren findet je ein Aufrechterhaltungsaudit statt. Soll das Zertifikat danach weiterhin seine Gültigkeit behalten, beginnt der Prozess von Neuem.
Der finanzielle und zeitliche Aufwand für eine Zertifizierung hängt gemäss Samuel Link stark von der Grösse des Unternehmens und der Datenverfügbarkeit ab. Im Idealfall dauert der Prozess vier bis sechs Wochen.
Bei der Zertifizierung nach «Fair Compensation» setzen sich die Beteiligten intensiv mit dem Thema Lohngleichheit auseinander. Dies bietet ein grosses Lernpotenzial wie Samuel Link von klingler consultants im Interview berichtet.
Sie begleiten Unternehmen auf ihrem Weg zur zertifizierten Lohngerechtigkeit. Welche Aspekte überraschen Kundinnen und Kunden oft?
Samuel Link: Diese betreffen häufig die Datenqualität und -verfügbarkeit. Für sehr detaillierte Analysen fehlen oft gewisse Informationen in den Personalsystemen der Unternehmen. So kann beispielsweise deutlich werden, dass die Funktionslandschaft zu wenig klar ist, sich die verschiedenen Rollen also nicht deutlich abgrenzen lassen. Auch bezüglich der Auswirkungen des Vergütungssystems oder der Struktur der Mitarbeitenden kann es spannende Erkenntnisse geben. Auf diese Themen legen wir bei der Analyse den Finger, wobei wir nicht einseitig auf die Geschlechter fokussieren. Es kommt vor, dass zwei Personen in Wirklichkeit gar nicht die gleichen Aufgaben und Verantwortlichkeiten haben, obwohl im System die gleiche Funktionsbezeichnung hinterlegt ist. Solche Fälle können darauf hindeuten, dass das Vergütungssystem Optimierungsbedarf hat und führen teilweise dazu, dass wir mit den Kunden über die Zertifizierung hinaus weiter zusammenarbeiten. Manchmal stossen wir auf Einzelfälle, die im Lohngefüge des Unternehmens speziell auffallen. Diese Fälle sind den HR-Verantwortlichen aber meist bekannt und haben eine entsprechende Vorgeschichte.
Wie können Unternehmen konkret von der Zertifizierung profitieren?
Sie entwickeln ein Verständnis für Lohngleichheitsanalysen mit ihren Stärken und Schwächen. Die Verantwortlichen lernen die Ergebnisse richtig zu interpretieren und wissen, wie sie an solche Fragestellungen herangehen sollten. Das Zertifikat ist aber auch ein Marketinginstrument. Eine zertifizierte Organisation kann zeigen, dass sie mehr gemacht hat als das gesetzliche Minimum. Den eigenen Mitarbeitenden signalisiert die Unternehmensführung, dass sie sich dem Thema Lohngleichheit professionell annimmt und es ihr damit ernst ist. Gerade wenn es von Seiten der Mitarbeitenden Kritik gibt, ist dies hilfreich. Zudem kann das HR die Vorgesetzten bei Vergütungsfragen besser unterstützen, da es sich intensiv mit diesen Themen beschäftigt.
In welchen Bereichen hat das Zertifikat eine besondere Bedeutung?
In Organisationen, die an die öffentliche Hand liefern oder für diese Dienstleistungen erbringen, ist die Lohngleichheit von besonderer Bedeutung, etwa bei öffentlichen Ausschreibungen. Solche Analysen dürften künftig noch vermehrt von Kunden eingefordert werden. Der Kanton Basel-Stadt prüft beispielsweise, ob auch Unternehmen mit weniger als 100 Mitarbeitenden zu einer Lohngleichheitsanalyse verpflichtet werden sollen. Hinzu kommt, dass der Employer-Branding-Effekt vermutlich an Bedeutung verliert, wenn alle grösseren Unternehmen eine Lohngleichheitsanalyse machen müssen. Arbeitgeber müssen also mehr vorweisen, um sich in Zukunft vom Markt abzuheben.
«Das Zertifikat
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