Veränderungen positiv betrachten und bewältigen
Veröffentlicht am: 03.03.2022
Lesedauer
ca. 8 Minuten
Nachhaltigkeit bedeutet Wandel und Wandel birgt Unsicherheit.
Wie gehen wir mit dem ganz persönlichen Bedürfnis nach Sicherheit um und was können wir für die Gestaltung unserer Zukunft aus der COVID-Pandemie lernen?
Nachhaltigkeit und die COVID-Pandemie. Zwei Begriffe, die in aller Munde sind. Beide beschäftigen uns im Jetzt, haben aber auch Einfluss auf unsere Zukunft. Doch was haben die beiden Themen gemeinsam? Die Pandemie als disruptives Ereignis forciert Veränderungen und Wandel. Ein Wandel in vielen Bereichen ist als Grundlage für eine nachhaltige Zukunft ebenfalls unabdingbar.
Was können wir also aus der Pandemie und unserem Umgang damit lernen, um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten.
Das Team der SQS hatte Ende 2021 das Privileg, mehr zu diesem Thema zu lernen. Frau Prof. Dr. Anne Herrmann, Professorin für Wirtschaftspsychologie, hat in ihrem Vortrag an unserer virtuellen Team-Sitzung wertvolle Einsichten vermittelt. Im persönlichen Gespräch mit Frau Herrmann konnten wir noch einmal vertieft auf diese eingehen und einige davon möchten wir hier mit Ihnen teilen.
Unsere 5 wichtigsten Erkenntnisse
- Veränderungen und Wandel schaffen Chancen für eine nachhaltige Zukunft.
- Durch Veränderungen, mit denen wir auch unsere Kompetenzen weiterentwickeln, verlieren wir unsere Ängste für Neues.
- Sinnhaftigkeit bei Veränderungen bewirkt eine positive Orientierung und Flexibilität.
- Die neu durch die Digitalisierung entstandenen Tools, richtig eingesetzt, fördern unsere Kompetenzen sowie unsere Effizienz und bringen Entlastung.
- Wir schalten die Informationsflut ab, um produktiv zu arbeiten oder ganz einfach zu entspannen.
Frau Herrmann. Sie bezeichnen die Pandemie als ein disruptives Ereignis. Welches war für Sie die grösste Disruption in den vergangenen zwei Jahren?
Das waren ganz sicher die veränderten Arbeitsweisen in meinen vielfältigen Arbeitsbereichen.
Wir mussten unsere Forschungsprojekte neu planen, einige Projektphasen anders umsetzen und unsere Methoden anpassen. Das hat sehr viel Aufwand mit sich gebracht.
Natürlich hat es auch die Art verändert, wie ich in der Ausbildung unterrichte. Dort mussten wir innert weniger Tage auf Online-Unterricht umstellen. Wir haben gelernt, den Unterricht anders zu gestalten und das Wissen mit neuen digitalen Tools zu vermitteln. Das war ein aufwändiger und lehrreicher Prozess, der die Art des Unterrichts verändert, aber auch bereichert hat.
Auch in der Weiterbildung fanden grosse Anpassungen statt. Die Weiterbildung lebt vom Austausch und der Präsenz der Teilnehmenden. Unsere Überzeugung war immer, dass dies nur vor Ort möglich sei. Als wir dann merkten, dass die Pandemie länger dauert, haben wir auch in diesem Bereich auf Online-Lektionen gewechselt. Wir, aber auch die Weiterbildungsteilnehmenden, waren positiv überrascht, dass die Wissensvermittlung und der Austausch – bei entsprechender Nutzung der vielfältigen interaktiven Tools – trotzdem sehr gut gelingen kann.
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Wir haben oft Bedenken, wenn wir von der gewohnten Umsetzung abweichen müssen. Aber auch unsere Gegenüber – in diesem Fall die Studierenden und Weiterbildungsteilnehmenden – haben solche Bedenken. In meinen Tätigkeiten galt es also aufzuzeigen, dass es auch mit diesen Veränderungen gut funktionieren kann und die Beteiligten dies erleben zu lassen.
Auf persönlicher Ebene war sicher die extrem reduzierte Mobilität die grösste Disruption. Es gab kein Pendeln mehr zum Arbeitsort. Das ist wohl vielen von uns so ergangen.
Wie sind Sie damit umgegangen?
Menschen gehen grundsätzlich unterschiedlich mit Veränderungen um. Die Veränderungen in meiner Arbeitswelt habe ich sicher gut bewältigen können, weil ich ein grosses Interesse am Lernen und an persönlicher Weiterentwicklung habe. Ich glaube, man muss versuchen, eine Veränderung so zu formulieren, dass sie für einen selbst auch einen Gewinn darstellt. Im Fall der Pandemie habe ich diese ab dem ersten Tag auch als Chance erlebt, mir neue digitale Kompetenzen für Forschung und Lehre zu erwerben. Dabei habe ich immer auch darauf fokussiert, dass ich von diesen Kompetenzen auch später profitieren kann. Von Beginn weg habe ich das positive Erlebnis gehabt, dass man sich schnell in neue Tools einarbeiten und sie erfolgreich einsetzen kann. Wenn ich mich heute selbst beobachte, bin ich fasziniert, wie selbstverständlich wir nun mit Instrumenten, wie zum Beispiel Zoom oder einem MURAL-Board, umgehen.
Im Rahmen der Pandemie konnte man aber feststellen, dass auch das Gegenüber – in meinem Fall also Forschungspartner, Studierende und Weiterbildungsteilnehmende – beim Ausprobieren neuer Methoden und Tools aktiv mitgemacht hat. Es gab Geduld und Verständnis dafür, dass zunächst nicht alles perfekt funktioniert. Wir können sicher davon profitieren, in Zukunft vieles im Kleinen zu probieren, daraus zu lernen und dann zu skalieren.
Stören wir Menschen uns an Veränderung grundsätzlich oder ist die Herausforderung eher darin zu sehen, dass sie oft fremdgesteuert ist?
Ich glaube, ein grosser Wert in unserer Gesellschaft ist Selbstbestimmung. Wenn diese Möglichkeit wegfällt, kann es helfen, die Sinnhaftigkeit der Veränderung und deren Notwendigkeit zu vermitteln. Der andere Punkt, der leider oft vergessen wird, ist, dass man auch die Bedenken der Beteiligten akzeptiert und adressiert. Dieser Fehler wird oft bei Veränderungsprozessen in Unternehmen gemacht. Wir sollten vorsichtig sein, Menschen vorzuwerfen, dass sie nicht flexibel genug sind. Denn oft bestehen durchaus berechtigte Befürchtungen, dass aus der Veränderung nicht nur positive, sondern auch negative Konsequenzen resultieren. Bedenken gegenüber Veränderungsprozessen sind daher oft zumindest teilweise begründet. Diese sollte man offen ansprechen und aufzeigen, wie damit umgegangen wird.
Eine der grossen Veränderungen während der COVID-Pandemie ist die stark fortgeschrittene Digitalisierung. Wie können wir damit umgehen, um unsere Zukunft gut zu meistern?
Ich sehe drei wichtige Aspekte: Der erste ist sicherlich die gezielte Nutzung der digitalen Tools und die Entwicklung der dafür nötigen Kompetenzen. So entsteht tatsächlich eine Entlastung im eigenen Wirkungskreis. Und ich kann so individuell von der Digitalisierung profitieren.
Als zweiter Aspekt gilt es, in Zukunft ganz bewusst zu wählen, wo und wann wir digital kommunizieren und wo wir den Aufwand betreiben, uns wieder analog, physisch auszutauschen.
Der dritte wichtige Faktor wird sein, auch einmal ab- und auszuschalten. Das, was schon vor der Pandemie propagiert wurde, ist noch wichtiger geworden. Also ganz bewusst die gerade nicht genutzten digitalen Tools ausschalten, um fokussiert und damit produktiver zu arbeiten, aber auch um zu entspannen.
Durch die Flut der Informationen und Aufgaben, die uns digital zu jeder Zeit überschwemmen, wächst der Drang nach Selbstorganisation und -reflexion. Welche Massnahmen können wir treffen, um uns die Situation leichter zu machen?
Ein wichtiger Punkt, den ich schon angesprochen habe, ist das Ausschalten. Wann muss oder will ich mit Informationen versorgt werden? Wann nicht? Der zweite Punkt ist, bewusst zu entscheiden, welche Informationen ich überhaupt konsumieren möchte, zu welchen Themen ich informiert werden will. Ganz praktisch bedeutet dies zum Beispiel die bewusste Selektion von Newsletter-Abonnements oder Push-Nachrichten.
Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass das Internet für wissbegierige Menschen ein toller Ort ist. Aber die Algorithmen bei LinkedIn oder anderen ähnlichen Plattformen sind leider dazu geschaffen, unsere Aufmerksamkeit nicht nur zu erzeugen, sondern auch zu halten. Es handelt sich dabei oft um so genannte Infinity-Pools, die von Spezialistinnen und Spezialisten genau zu diesem Zweck entworfen wurden: um uns so lange wie möglich in der Applikation zu halten. Wir sollten uns also nicht selbst verurteilen, wenn wir ab und zu länger verweilen als beabsichtigt. Was wir aber tun können, ist ganz bewusst Regeln zu entwickeln, um den persönlichen Konsum zu regulieren. Das kann zum Beispiel ein persönliches Zeitlimit auf LinkedIn sein.
Wenn es um die Erledigung von Aufgaben geht, ist es wichtig, zu überlegen, welche Projekte relevant sind. Hier spielt die Prokrastination (das Aufschieben) eine grosse Rolle. Oft entsteht die Tendenz, sich mit kleinen Aufgaben beschäftigt zu halten, weil diese leichter zu bewältigen sind als die grossen. Das nennt man zwar positive Prokrastination, ist aber oft gar nicht so positiv, weil es uns von wichtigen, grösseren Aufgaben abhält.
Wir müssen also in unserer Planung Zeitfenster für die umfangreichen und anspruchsvollen Herausforderungen reservieren und diese als sakrosankt betrachten. Gleichzeitig sollten wir grosse Aufgaben in kleine, greifbare Teil-Projekte unterteilen, damit sie uns leichter fallen. Die Idee, Verbindlichkeiten für Teilziele im Team zu formulieren, hilft ebenfalls, weil dadurch eine Art soziale Kontrolle entsteht.
Der Wohlstand beeinflusst unser Konsumverhalten stark. Wir rücken den luxuriösen Lebensstil in den Vordergrund, unser CO2-Fussabdruck wächst.
Welche Veränderungen sind hier angesagt?
Welche persönlichen Gründe (auf der Gefühlsebene) leiten uns, um Veränderungen oder Verzicht einzugehen?
Die Herausforderung ist tatsächlich, dass mit zunehmendem Wohlstand auch der CO2-Fussabdruck steigt. Adressieren kann man dies aus verschiedenen Perspektiven und Rollen.
Als Unternehmen können wir unser Bestreben für ein klimaneutrales Wirtschaften aufzeigen (z.B. durch den Einsatz von Solaranlagen und Elektrolieferwagen). Ausserdem können wir unseren Kundinnen und Kunden umweltfreundlichere Alternativen anbieten. Unternehmen können so eine grosse Wirkung erzielen, denn sie können viele Menschen zu einem umweltfreundlicheren Verhalten animieren.
Als Konsumentinnen und Konsumenten leben wir am einfachsten nachhaltig, wenn wir bewusst solche nachhaltigen Alternativen identifizieren, welche auf einem gefühlt geringeren oder sogar gar keinem Verzicht für uns persönlich basieren. Wir können uns die Frage stellen, wo es uns persönlich leichter fällt, auf eine nachhaltige Alternative zu wechseln oder ein Produkt sogar nicht mehr zu konsumieren.
Ein wichtiger Punkt ist auch, zu überlegen: Wie kann ich den Verzicht persönlich als etwas Positives erleben? Minimalismus ist zum Beispiel ein solcher Trend. Minimalistinnen und Minimalisten verzichten zwar, nehmen es selbst aber vor allem als entlastend wahr. Sie gewinnen an Platz und an mentaler Freiheit, wenn sie weniger kaufen und weniger besitzen. Die mentale Freiheit entsteht in zweifacher Weise: Erstens, weil man weniger Zeit für Konsumentscheide aufwenden muss und zweitens, weil man sich aufgrund eines reduzierten Besitzes um weniger kümmern muss. Letzteres ist übrigens auch ein wichtiges Argument der Sharing Economy.
Wir sollten auch versuchen, zu identifizieren, wo wir als Konsumentinnen und Konsumenten die grossen Hebel ansetzen können, statt unsere Motivation an verhältnismässig kleinen Entscheidungen zu erschöpfen. Damit meine ich z.B., dass man sich «im Grossen» für eine deutlich kleinere Wohnung entscheidet und die Ferien im Inland verbringt, statt per Flugzeug auf einen anderen Kontinent zu reisen. Dafür achtet man «im Kleinen» nicht ganz so strikt auf die Umweltauswirkungen. Das könnte bedeuten, dass man weiter Reis statt Teigwaren wählt, obwohl Teigwaren eine deutlich ressourcenschonendere Alternative darstellen. Einfach weil man Reis so gerne mag und darauf nicht verzichten möchte. Wie man so schön sagt: «Don’t sweat the small stuff».
Die Pandemie hat uns, insbesondere in den ersten Monaten, viele Grenzen aufgezeigt. Individuelle Freiheiten wurden eingeschränkt, Risiken von globalen Lieferketten traten zu Tage und viele Menschen wurden, zumindest temporär, ihrer Arbeit beraubt. Andererseits konnten wir dadurch den Earth Overshoot Day im Jahr 2020 nach hinten verschieben, sahen Bilder von Delphinen im Hafen von Venedig, erfreuten uns plötzlich wieder an einfachen Dingen und hatten Gelegenheit, etwas zur Ruhe zu kommen.
Warum tendieren wir Menschen dazu, eher auf die negativen Aspekte von Veränderungen zu fokussieren und die daraus entstehenden Chancen zu vernachlässigen?
Evolutionspsychologisch begründet neigen wir dazu, mögliche Verluste überzubewerten und vermeiden zu wollen. Dies führt dann dazu, dass wir lieber beim Status Quo bleiben, weil jede Veränderung auch Verluste mit sich bringen kann. Um dem entgegenzuwirken, kann man versuchen, sich in die angestrebte neue Situation hineinzudenken und sich zu fragen: würde ich freiwillig zurückwechseln zum Status Quo? Durch diesen sogenannten «reversal test» nehmen wir die positiven Aspekte der neuen Situation besser wahr, statt nur auf die negativen Perspektiven zu fokussieren. Und uns wird präsenter, dass die aktuelle Situation auch ihre negativen Seiten hat – die wir bisher einfach als gegeben hingenommen hatten.
Es ist jedoch schwierig, dies zu tun, wenn die Gewinne und potenziellen Vorteile weit in der Zukunft liegen. Alle Beteiligten sollten bei Veränderungen gewisse positive Aspekte in zeitnaher Zukunft erleben. Am Beispiel des Klimawandels sehen wir auch die Wichtigkeit des Faktors «Selbstwirksamkeit». Wenn es für mich fraglich ist, ob ich als Individuum etwas bewirken kann, ist es schwieriger, Menschen für Veränderungen zu begeistern.
Sie sprechen in Ihrem Vortrag bei der SQS auch von der «End of History Illusion», einem psychologischen Phänomen, bei dem wir dazu tendieren, unser jetziges Ich als definitiv zu betrachten, das sich bis jetzt verändert hat, sich aber zukünftig kaum oder gar nicht mehr verändert. Wie können wir aktiv gegen dieses Phänomen angehen und wie lässt sich dies auch auf Organisationen ausweiten?
Auf persönlicher Ebene gilt es, sich dieses Phänomens bewusst zu sein und entsprechend zu agieren. Wir sollten bei unseren Entscheidungen darauf achten, nicht zwangsläufig die für uns aktuell perfekte Option zu wählen. Stattdessen sollten wir eine Option wählen, die uns noch eine gewisse Flexibilität bietet. Wir sollten also z.B. nicht versuchen, die für unsere aktuellen Bedürfnisse perfekte Wohnung zu kaufen. Stattdessen sollten wir eine Wohnung erwerben, die sich an unsere kontinuierlich veränderten Bedürfnisse anpassen lässt oder die man andernfalls leicht wieder verkaufen kann. Und generell müssen wir lernen, das Leben in Optionen zu gestalten, weil wir gar nicht wissen, ob wir in fünf oder zehn Jahren noch gleich denken und das Gleiche wollen.
Wenn wir dies auf Unternehmensebene betrachten, ist es relevant, dass wir unsere Geschäftstätigkeiten möglichst flexibel gestalten. Unser Arbeiten manifestiert sich heutzutage grundsätzlich oft noch im Physischen, also z.B. in der Büroraumgestaltung. Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sich hier die Bedürfnisse nicht nur rückblickend verändert haben, sondern sicher in Zukunft auch weiter verändern werden. Entsprechend wollen und sollten die Unternehmen ihre Büroräumlichkeiten so gestalten, dass sie sich an zukünftig verändernde Bedürfnisse anpassen lassen. Das könnte durch flexibles Mobiliar, aber auch durch flexibel veränderbare Bürogrundrisse gewährleistet werden.
Sowohl auf individueller wie auch organisationaler Ebene ist es ausserdem sinnvoll, zurückzuschauen und den Fokus auf das Positive der vergangenen Veränderungen zu legen. Sich also zu fragen: Welche Vorteile haben wir daraus gewonnen, derer wir uns vorher gar nicht bewusst waren? Dies hilft auch, unsere Veränderungsfähigkeit zu erkennen. Wir haben alle schon mehrfach bewiesen, dass wir mit Veränderungen umgehen können und dies entsprechend auch wieder tun können.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch, Frau Herrmann.
Prof. Dr. Anne Herrmann
ist Professorin für Wirtschaftspsychologie und leitet das Institut für Marktangebote und Konsumentscheidungen an der Hochschule für Angewandte Psychologie der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).
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