Revision der ISO 14001:2015: «Weg vom Risiko – hin zum Wirkungsdenken»
Veröffentlicht am: 05.09.2023
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ca. 4 Minuten
Die Norm ISO 14001:2015 zu Umweltmanagementsystemen wird revidiert. Der SQS-Auditor René Wasmer hat seit den frühen 1990er-Jahren an der Einführung und Weiterentwicklung der Norm mitgewirkt. Er vertritt die Schweiz auch dieses Mal im Prozess. Im Interview erklärt er, warum die Revision folgenreich sein dürfte – obwohl sie nur den Anhang betrifft.
René Wasmer, warum wird die Norm ISO 14001:2015 revidiert?
Wir haben an der Jahreswende 2022/2023 im zuständigen Subkomitee TC207/SC1 entschieden, dass wir mit einer Revision nicht bis zur nächsten ordentlichen Überprüfung 2025 zuwarten dürfen. Die Welt bewegt sich! Damit die Norm relevant bleibt, weiterhin als globale Baseline benutzt wird und ihre Reputation bewahrt, muss sie an relevante Entwicklungen angepasst werden.
René Wasmer, SQS-Auditor, SNV-Vertreter im ISO-Komitee für Umweltmanagement und Inhaber der Conformity & Governance GmbH
An welche Entwicklungen?
Es geht um mehrere Dinge. Erstens benennt die Norm für das Umweltmanagement bedeutende Themen nicht mit der notwendigen Bestimmtheit. Dazu gehören der Klimawandel, die Verknappung der Ressourcen, der Schutz der Ökosysteme und der Biodiversität oder Ansätze wie die Kreislaufwirtschaft. Sie sind in den letzten Jahren für Regulierer und Standardsetzer, Wirtschaft und Wissenschaft noch mehr in den Fokus gerückt. Die Norm sollte die Anwender besser darin unterstützen, solche relevanten Themen bei der Massnahmenplanung zu priorisieren und möglichst ambitioniert und wirkungsvoll – im Sinne positiver Umweltbeiträge – zu handeln. Zweitens hat es seit der Revision 2015 wichtige regulatorische Veränderungen auf lokaler, regionaler und globaler Ebene gegeben, die die Norm jetzt aufnehmen sollte.
Zum Beispiel?
Eine Norm zu Umweltmanagement muss die UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs, Anm. d. Red.) explizit beachten. Ein anderes Beispiel ist der Green Deal der Europäischen Union. Dieser enthält in seinen ergänzenden Regulierungen immer strengere Anforderungen hinsichtlich Umweltleistung und wichtige Neuerungen bezüglich der Berichterstattung, die wir in die ISO 14001 integrieren sollten. Für Anwender ist es wichtig, auf solche Entwicklungen durch die Norm oder auch die Überprüfer hingewiesen zu werden.
Die ISO übernimmt Regeln der EU?
Nicht als Anforderung, sondern als Element des relevanten Kontextes. Das bedeutet folgendes: Die Norm wird – wie bisher – dem Anwender offenlassen, ob und wie er über sein Umweltmanagement Wirkung erzielt und glaubwürdig darüber berichtet. Im Anhang möchten wir aber die massgebenden Regeln der EU und anderer Regulatoren explizit erwähnen, damit Anwender ihr Umweltmanagement robuster und mit der notwendigen Ambition planen und umsetzen.
Gibt es weitere Gründe für die Revision?
Der dritte ist, dass wir einen Wandel vom reinen Risikodenken hin zu mehr Chancendenken mit einem entsprechenden Wirkungsfokus – «Impact» – unterstützen müssen. Die drei Hauptanforderungen der Norm sind ja Gesetzeskonformität, eine kontinuierliche Verbesserung des Managementsystems und der Umweltleistung sowie eine Reduktion der Umweltbelastungen. Das lässt viel Spielraum und setzt den Anreiz, dass Anwender sich an den «low hanging fruits» orientieren können, an den leicht erreichbaren Resultaten. Wir müssen sie besser unterstützen, damit sie sich nicht nur für die minimale Anforderungserfüllung entscheiden, sondern die grösstmögliche Wirkung erzielen und dabei den Geschäftserfolg optimieren.
Das klingt nach einem Paradigmenwechsel. Erwartet die Anwender also eine grosse Revision?
Um der Norm «mehr Zähne» zu geben, wären wir vonseiten der Schweizerischen Normen-Vereinigung wohl für eine ambitionierte Revision zu haben gewesen. Aber im Subkomitee war eine klare Mehrheit dagegen. Deshalb haben wir uns für eine «leichte Revision» eingesetzt. Das bedeutet, dass sich an den Anforderungen der Norm nichts ändern wird. Die Anpassungen werden sich auf den Anhang konzentrieren und die Bedeutung des Engagements für Anwender klären.
Der grosse Wandel durch die Hintertür?
Ich habe an der ISO 14001 seit ihrer Einführung im Jahr 1994 mitgewirkt. Aus dieser Erfahrung heraus kann ich mir gut vorstellen, dass die Änderungen, die wir nun für den Anhang anstreben, später in den Anforderungskatalog Eingang finden werden. Zudem ist es ja nicht so, dass die Anforderungen falsch wären! Sie sind einfach sehr generisch, vieles bleibt implizit. Anwender können dies für Minimal-Impact-Lösungen nutzen. Nach der Revision werden sie klarere Antworten geben müssen, weil auch die Erwartungshaltung klarer sein wird. Die Zertifizierer werden die geeignete Ambition – und damit die fortgesetzte Eignung und Wirksamkeit des Umweltmanagements – im Blick haben.
Die Revision dürfte die Bedeutung von Zertifizierungsstellen wie der SQS steigern?
Absolut! Wenn wir den Anhang so reformieren, wie ich es mir erhoffe, wird er ihnen mehr und konkrete Anhaltspunkte liefern, um ambitionierte Anwender wirkungsvoll zu unterstützen. Das bedarf aber natürlich auch einer Weiterentwicklung des Audits und der Auditierenden.
Wann dürfte die Revision abgeschlossen sein?
Im Juni 2023 ist die sog. Design Specification angenommen worden. Sie sieht einen 24-monatigen Prozess vor. Ich erwarte deshalb, dass die revidierte Norm frühestens im Herbst 2025 publiziert werden wird.
Legende: Diese Grafik beschreibt, wie eine ISO-Norm in der Regel entwickelt wird. Die Revision der ISO 14001:2015 befindet sich zwischen den Stadien «Vorbereitung» und «Komitee». Der Draft International Standard (DIS) ist bis spätestens Januar 2025, der endgültige DIS (FDIS) bis spätestens September 2025 zu erwarten. Die Grafik ist dem von der SQS publizierten Buch «Räderwerke der Normalität. Wie Normen und Standards Vertrauen schaffen» entnommen (vgl. hier).
Eine ISO 14001 Zertifizierung durch die SQS
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Teil 1: die entscheidenden Akteure in den Revisionsprozessen
Teil 2: Hintergründe und Stossrichtung der ISO-9001-Revision
Teil 3: Hintergründe und Stossrichtung der ISO-14001-Revision (dieser Artikel)
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