Umweltanforderungen, Soziale Anforderungen, International anerkannt

Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung: aktuelle Entwicklungen, Kosten und Nutzen

Niclas.Meyer@bss-basel.ch

Niclas Meyer

Veröffentlicht am: 17.10.2024

Lesedauer

ca. 5 Minuten

Mit der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) hat die Europäische Union umfangreiche Berichterstattungspflichten eingeführt. Was bedeutet diese Richtlinie für hiesige Unternehmen: Wer ist betroffen, was kostet, was nützt sie? Ein führender CSRD-Experte gibt darauf Antworten. Er hat – gemeinsam mit weiteren Sachverständigen – die Folgen der EU-Richtlinie im Auftrag des Bundes abgeschätzt. 

Was verlangt die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) der EU? Berichtspflichtige Unternehmen müssen zum einen darüber informieren, wie sie durch ihre Geschäftstätigkeit der Nachhaltigkeit schaden, zum Beispiel durch ihre Treibhausgasemissionen. Zum anderen müssen sie aufzeigen, ob und inwieweit ihr Geschäft von Nachhaltigkeitsrisiken betroffen ist, zum Beispiel durch Überschwemmungen. Die CSRD verpflichtet aber lediglich zur Berichterstattung. Nicht mehr und nicht weniger. Spitz gesagt, kann ein Unternehmen weiter Flüsse vergiften, wenn es denn brav darüber berichtet. Was ist also Sinn und Zweck der Berichterstattungspflicht?

 

Kapitalströme zu nachhaltigen Unternehmen lenken 

Wir sind weit davon entfernt, unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen – weder die UNO-Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 (die sogenannten SDGs) noch die Ziele des Pariser Klimaabkommens. Sollen diese Ziele erreicht werden, müssen wir mehr tun. So braucht es etwa mehr Investitionen. Und genau da will die Berichterstattungspflicht ansetzen: Finanzströme sollen umgelenkt werden, weg von der Nachhaltigkeit schadenden hin zu nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen.

International besteht hierzu ein breiter Konsens. Entsprechende Commitments finden sich beispielsweise im Pariser Klimaabkommen und spiegeln sich in der From-Billions-to-Trillions-Agenda der Weltbank, welche zum Ziel hat, die fehlenden Investitionen zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele aus dem Privatsektor zu mobilisieren.

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Zum Autor

Niclas Meyer ist Senior Berater bei der Firma BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG in Basel. Er beschäftigt sich schwerpunktmässig mit Fragen der Digitalisierung, Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik sowie Marktregulierung und Governance. Meyer promovierte 2012 an der London School of Economics and Political Science (LSE). Am 8. Oktober 2024 sprach er am SQS-Rendezvous, der Podiums- und Netzwerkveranstaltung für die Mitglieder der SQS, über die internationale Regulierung der Nachhaltigkeitsberichterstattung (mehr dazu hier). 

Positive bzw. negative Feedback-Schlaufe durch die Nachhaltigkeitsberichterstattung: Die Auswirkungen auf die Unternehmen sind hellblau hinterlegt, die Nachhaltigkeitsauswirkungen beige. (Quelle: Abbildung 11 in Regulierungsfolgenabschätzung: Nachvollzug der EU-Richtlinie zur der unternehmerischen Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), 19.2.2024, Seite 46)

Doch was hindert Investoren daran, bereits heute in nachhaltige Unternehmen zu investieren? Wofür braucht es zusätzliche Berichterstattungspflichten? Das Problem sind sogenannte Informationsasymmetrien: Ob eine Firma tatsächlich nachhaltig produziert oder nur «Greenwashing» betreibt, lässt sich kaum verlässlich überprüfen. Das macht es für den Finanzmarkt schwierig, in nachhaltige Unternehmen zu investieren. Gemäss der EU soll eine flächendeckende Berichterstattungspflicht mit standardisierten Inhalten, einer behördlichen Aufsicht und unabhängiger Prüfung durch Dritte dieses Problem lösen.

Inwieweit eine Berichterstattungspflicht wie jene durch die CSRD tatsächlich einen Beitrag zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele leistet, wird sich erst zeigen. Wissenschaftliche Studien aus den USA und Grossbritannien zeigen jedoch bereits, dass berichtspflichtige Unternehmen in Reaktion auf die Berichtspflicht ihre Treibhausgasemissionen um 8 bis 18 Prozent reduziert haben.

 

Bis zu 50 000 Schweizer Unternehmen betroffen 

Das Schweizer Obligationenrecht enthält seit 2023 eine Berichterstattungspflicht (vgl. Sie hierzu den SQS-Blogbeitrag «KMU müssen die nichtfinanzielle Berichterstattung jetzt angehen» | SQS, Anm. d. Red.). Sie betrifft rund 200 grosse börsenkotierte Unternehmen sowie Banken und Versicherungen. Zudem müssen ab 2028 rund 150 Schweizer Unternehmen, die mehr als 150 Mio. Euro in der EU umsetzen, auch gemäss der CSRD berichten. Würde die CSRD im Schweizer Recht nachvollzogen – was zurzeit erwogen wird –, wären alle Unternehmen berichtspflichtig, die zwei der drei folgenden Bedingungen erfüllen: mehr als 50 Mio. Franken Umsatz, mehr als 25 Mio. Franken Bilanzsumme, mehr als 250 Beschäftigte. Nach unseren Schätzungen dürfte das auf rund 2 800 Unternehmen zutreffen. 

Auch wenn die Schweiz die gesetzlichen Anforderungen nicht auf das Niveau der CSRD anheben wird, dürften hierzulande mittelfristig bis zu 50 000 Unternehmen von den Berichtspflichten betroffen sein. Denn die unmittelbar berichtspflichtigen Unternehmen benötigen Daten aus ihren Lieferketten, um ihre eigenen Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Dazu fordern sie von ihren Zulieferern Nachhaltigkeitsdaten ein. Das bedeutet, dass zum Beispiel ein Hersteller von Türklinken vom Unternehmen, von dem es das Aluminium bezieht, wissen muss, wieviel Treibhausgasemissionen in dem beschafften Aluminium stecken. 

So sind viele Unternehmen, die eigentlich ausserhalb des Geltungsbereichs der Berichtspflicht liegen, indirekt von ihr betroffen. Und da viele Schweizer Unternehmen erfolgreich in globale Wertschöpfungsketten integriert sind, haben sie viele Kunden in der EU oder anderswo in der Welt, die die neuen Pflichten an sie weiterreichen und Daten von ihnen benötigen. Viele KMU sehen sich daher bereits jetzt mit derartigen Anfragen überhäuft.

 

Auch der Druck durch Investoren wächst 

Auch vonseiten der Investoren wächst der Druck. Grosse Fondsgesellschaften und Betreiber von passiven Indexfonds sanktionieren zum Teil bereits Unternehmen, die keinen Nachhaltigkeitsbericht vorlegen, indem sie an den Generalversammlungen automatisch gegen die Wiederwahl des Verwaltungsrates stimmen. Solche Investoren halten zusammen bis zu einem Viertel des Aktienkapitals der grossen börsenkotierten Unternehmen in der Schweiz und weltweit. 

Mit der CSRD sollen die Nachhaltigkeitsberichte überdies maschinenlesbar werden. So steht zu erwarten, dass Fondsgesellschaften die Unternehmen, in denen sie investiert sind, künftig auch an deren Absenkpfad bezüglich der Treibhausgas-Emissionen messen werden. Warum? Der – durch THG-Emissionen bewirkte – Klimawandel bedeutet für sie ein erhebliches Portfoliorisiko. 

Für diese Anspruchsgruppe sind insbesondere die Empfehlungen der Taskforce on Climate-Related Financial Disclosures (TCFD) relevant: also Empfehlungen dazu, wie Unternehmen darüber berichten sollen, wie klimatische Bedingungen und Veränderungen sich auf Geschäftsmodell und Geschäftsgang auswirken – und welches die Wirkungen in der umgekehrten Richtung sind. (Die TCFD-Empfehlungen werden vom OR aufgenommen, vgl. den unten verlinkten SQS-Blogartikel, Anm. d. Red.)

Kosten und Nutzen für Unternehmen 

Im Auftrag des Bundesamts für Justiz und des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) haben wir eine Regulierungsfolgenabschätzung zur CSRD gemacht, die u.a. auf der SECO-Website verfügbar ist. Die Studie zeigt, dass auf die berichtspflichtigen Unternehmen erhebliche Kosten zukommen. Sie müssen Personal einstellen oder bereitstellen und neue Geschäftsprozesse sowie IT-Systeme einführen, um die erforderlichen Daten zu erheben und zu verwalten. Auch die externe Prüfung durch eine Revisions- oder Konformitätsbewertungsstelle ist teuer. Je nach Unternehmensgrösse ist mit Kosten zwischen 90 000 und 700 000 Franken pro Jahr zu rechnen. Dies ist jedoch nur eine grobe Schätzung. Die tatsächlichen Kosten können deutlich höher liegen.

Die Berichterstattungspflicht kann aber auch Vorteile für die Unternehmen haben – und zwar nicht nur für solche, die die Nachhaltigkeitsberichte nutzen, um bessere Anlageentscheidungen zu treffen. Berichtspflichtige Unternehmen profitieren von einem verbesserten Zugang zu Kapital, einer höheren Kundenbindung und Mitarbeitermotivation sowie verbesserten Stakeholder-Beziehungen. Zahlreiche Studien belegen dies. Darüber hinaus können die erhobenen Daten für weitere Zwecke genutzt werden, beispielsweise für Prozessoptimierungen, Produktinnovationen oder ein besseres Management von Lieferkettenrisiken. Wir empfehlen daher immer, die neuen Berichtspflichten nicht als Compliance-Übung, sondern auch als Chance zu sehen.   

Auf die Frage nach ihren Nachhaltigkeitsbemühungen sagen uns viele Unternehmen, dass sie lieber etwas tun, als darüber zu berichten. Aber um etwas Sinnvolles zu tun, muss ich wissen, wo ich ansetzen muss. Dazu braucht man Daten. Die Berichtspflicht setzt einen starken Anreiz, damit Unternehmen die Datenverfügbarkeit verbessern. 

 

Wo sollten Sie anfangen? 

Klären Sie als erstes, ob Ihr Unternehmen formal verpflichtet ist, einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Da der Druck, wie bereits beschrieben, nicht nur vom Gesetzgeber ausgeht, sollten Sie zweitens unbedingt eine Stakeholderanalyse durchführen und prüfen, nach welchen Gesetzen Ihre Kunden und Investoren berichten müssen und welche Standards sie dabei verwenden. Dies sollte Ihnen ein gutes Bild davon geben, welche Anforderungen in Zukunft auf Ihr Unternehmen zukommen. 

Wenn Sie Ihren ersten Nachhaltigkeitsbericht erstellen, ist es wichtig, Prioritäten zu setzen. Der European Sustainability Reporting Standard umfasst über 1200 Datenpunkte. Diese reichen von Treibhausgasemissionen über die Anzahl gemeldeter Menschenrechtsverletzungen bis hin zu den Nettoeinnahmen von Kunden, die in kohlebezogenen Aktivitäten tätig sind. Für die meisten dürfte es praktisch unmöglich sein, alle Datenpunkte zu bedienen. Aber das müssen sie auch nicht.

Dritter Tipp: Konzentrieren Sie sich auf die Bereiche, in denen Ihre Geschäftstätigkeit einen wesentlichen (positiven oder negativen) Einfluss auf die Nachhaltigkeit hat (Inside-Out) und in denen Nachhaltigkeitsveränderungen einen wesentlichen (positiven oder negativen) Einfluss auf Ihr Geschäft haben (Outside-In). Dies geschieht in einer sogenannten Wesentlichkeitsanalyse. Das klingt kompliziert, ist aber eigentlich ganz einfach. Schwierig und aufwendig ist die Beschaffung der notwendigen Daten.

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