Management, Umweltanforderungen, Soziale Anforderungen

Nachhaltigkeitszertifizierungen in den Bau- und Immobilienbranchen

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Adrian Hanselmann

Veröffentlicht am: 24.09.2024

Lesedauer

ca. 5 Minuten

Die Bau- und Immobilienbranchen spielen eine zentrale Rolle im weltweiten Bemühen um mehr Nachhaltigkeit. Sie sind für etwa 40 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich und erzeugen in der Schweiz 80 Prozent des gesamten Abfalls. Angesichts dieser Zahlen wird deutlich, wie wichtig effektive Nachhaltigkeitsstandards für die Branche sind. Doch wie gut funktionieren die bestehenden Standards und reichen sie aus, um den ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden?

Standards für Nachhaltigkeit: Wo stehen wir heute? 

Als 1994 das erste Haus nach Minergie-Standard gebaut wurde, konnte noch niemand absehen, welchen Einfluss das heute bekannteste Energieeffizienz-Label der Schweiz haben würde. Letztes Jahr wurde das 50 000. Gebäude zertifiziert, und kürzlich kam die erste Überbauung mit dem neuen Minergie-Standard für Areale hinzu. Mit Minergie können bis zu 20 Prozent und mit Minergie-P sogar 50 Prozent der Energie eingespart werden – ein beeindruckender Beitrag zur Reduzierung des Energieverbrauchs. Zudem hat ein solches Label auch das Potenzial, das Bewusstsein in der ganzen Branche zu verändern und als Vorbild für nicht zertifizierte Projekte zu dienen. Der Minergie-Standard wird kontinuierlich verbessert, zuletzt mit der neuesten Revision, die im September 2024 in Kraft trat.

Inzwischen sind weitere Standards und Labels entstanden, die auf die Dringlichkeit nachhaltiger Immobilien reagieren. Der SNBS (Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz) bietet eine ganzheitliche Zertifizierung für Neubauprojekte, basierend auf der sogenannten Verständigungsnorm SIA 112/1. Für einzelne Bestandsimmobilien hat sich der GEAK (Gebäudeenergieausweis der Kantone) etabliert, der ähnliche Kriterien wie das Minergie-Label anwendet und gemäss dem bereits über 100 000 Energieausweise ausgestellt worden sind.

Während Bauprojekte durch Nachhaltigkeitsstandards abgedeckt sind, bestand im Bereich der ganzheitlichen Bewertung von Bestandsimmobilien und Immobilienportfolios noch eine Lücke. Angesichts des zunehmenden Drucks auf Investoren – darunter Pensionskassen und grosse Immobilienfirmen –, die Nachhaltigkeit stärker zu berücksichtigen, waren die bisherigen Labels nicht ausreichend. Diese Lücke schliesst der SSREI (Sustainable Real Estate Index), das jüngste Mitglied in der Schweizer Standard-Landschaft.

Grafik: SQS

Nachhaltigkeitsbewertung von Bestandsimmobilien

Der SSREI basiert, wie der SNBS, auf der Verständigungsnorm SIA 112/1. Er ermöglicht es, eine transparente und vergleichbare Nachhaltigkeitsbewertung von Bestandsimmobilien und Immobilienportfolios bereitzustellen. Im Gegensatz zum GEAK nimmt er eine holistische Perspektive ein, um den steigenden Erwartungen an nachhaltige Immobilien gerecht zu werden. Dafür werden die drei Bereiche «Gesellschaft», «Wirtschaft» und «Umwelt» betrachtet.

Jede der Nachhaltigkeitsdimensionen wird in spezifische Indikatoren und Kriterien unterteilt, die eine pragmatische, aber ausreichende Bewertung ermöglichen, um das Portfolio strategisch in Richtung Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Beispielsweise werden bei den ökologischen Aspekten nicht nur die GEAK- respektive Minergie-Kriterien (Gebäudehülle, Energieträger) in die Bewertung einbezogen, sondern auch Themen wie Kreislaufwirtschaft, graue Energie und Biodiversität. Analog dem SNBS wird insbesondere den gesellschaftlichen Kriterien mit 15 von 36 Kriterien eine grosse Bedeutung beigemessen, wobei spezifisch auf die Nutzerbedürfnisse, das Wohlbefinden sowie den kulturellen Wert von Gebäuden eingegangen wird.

Mit der steigenden Zahl des bewerteten Portfolios wächst auch der Datenpool des Benchmarks, was wiederum spezifische Benchmarks erlauben wird. Damit soll ein detaillierter Vergleich mit dem Markt möglich sein, an dem sich die Investorinnen und Immobilienbewerter orientieren können. Zudem werden empirische Daten über die Korrelation von Nachhaltigkeit und Werthaltigkeit vorliegen, welche dann wiederum den Bewertern für ihre Gebäudeschätzung dienen. Bereits jetzt werden bei jeder SSREI-Bewertung die vergleichenden Benchmarks mitgeliefert.

Die Aufnahme in den Index bedingt die Verifizierung der Dateneingaben von unabhängiger Stelle. Diese Aufgabe übernimmt die SSREI AG. Sie fungiert als Standard-Organisation und Verifizierungsstelle. Der SQS als Zertifizierungsstelle kommt die Aufgabe zu, den Verifizierungsprozess der SSREI AG projektbezogen zu überprüfen. Dazu gehören Fragen wie: War das Verifizierungsteam qualifiziert? Wurde die Verifizierung rechtzeitig durchgeführt? Ist die Verifizierung dokumentiert? Ist der Entscheid, das Portfolio in den Index aufzunehmen respektive im Index zu behalten, nachvollziehbar?  

Ein öffentlich zugänglicher Standard und ein unabhängiges Qualitätssicherungssystem sind die beiden Voraussetzungen, für ein «Certification Scheme» wie der SSREI.

Auswertung der 36 Bewertungsindikatoren und Benchmark-Vergleich nach Bereichen:

Grafik: zvg. SSREI

Auswertung der 36 Bewertungsindikatoren und Benchmark-Vergleich nach Bereichen.

Elvira Bieri - CEO SSREI

Elvira Bieri, CEO SSREI

Elvira Bieri, CEO von SSREI, erläutert die Bedeutung dieses wichtigen Instruments:

«Eine Analyse des Immobilien-Portfolios verbessert seine Qualität noch nicht; sie ist aber eine unabdingbare Voraussetzung dafür, geeignete – d.h. in Abwägung mit der Rendite – Massnahmen zu treffen. Mein Credo ist, sich nicht zu lange bei der Analyse aufzuhalten. Sie muss so ausgestaltet sein, dass belastbare Entscheidungen daraus abgeleitet werden können. Das ist das Konzept von SSREI.»

Labels und Standards sind ein wichtiger Bestandteil der Nachhaltigkeitsanstrengungen in Bau- oder Immobilienbranchen. Viele Unternehmen fragen sich jedoch, wie diese Nachhaltigkeitsziele in der Praxis erreicht werden können und wie sie sich in der täglichen Umsetzung darstellen. Im Fokus stehen dabei Prozesse und Managementansätze. Nach dem Was wollen wir nun das Wie beleuchten.

Grafik_SSREI

Grafik: SQS

Die Prüfenden prüfen: SQS-Zertifizierung für SSREI

Es ist ein bewährtes System: In der ISO-Welt werden die Konformitätsbewertungsstellen (wie die SQS) durch Akkreditierungsstellen (wie die SAS) überprüft. Im Bereich der privaten Labels gibt es zum Teil Zulassungsstellen, die die Qualität und Glaubwürdigkeit der Zertifizierung sicherstellen. Damit SSREI am Markt anerkannt wird, ist die SQS in einem vierstufigen Verfahren als «Prüferin der Prüfer» engagiert worden.  

Die Kunden von SSREI erhalten so einen verifizierten Wert sowie ein Zertifikat, das den korrekten Verifizierungsprozess bestätigt.

Implenia und Lazzarini – Nachhaltigkeit durch Integration

Für Unternehmen entscheiden neben den gesetzlichen Anforderungen meist Synergien und die Integrationsfähigkeit mit bestehenden Strukturen darüber, welche Standards, Labels und Normen zur Anwendung kommen. Die Unternehmen Implenia und Lazzarini zeigen, wie eine solche Integration erfolgreich umgesetzt werden kann.

Implenia, das grösste Bau- und Baudienstleistungsunternehmen der Schweiz, setzt auf eine umfassende Integration von Managementsystemen mit ISO 9001, ISO 14001 und ISO 45001, um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Dabei spielen sowohl Umwelt- als auch Qualitätsmanagementsysteme nach ISO-Normen eine zentrale Rolle. Durch die Auditierung und Zertifizierung der SQS wird sichergestellt, dass diese Systeme nicht nur formal implementiert, sondern auch tatsächlich gelebt werden. Implenia hat durch die Integration dieser Systeme nicht nur die Einhaltung von Umweltstandards verbessert, sondern auch Prozesse optimiert und die Ressourceneffizienz gesteigert.

Das Bauunternehmen Lazzarini verfolgt einen ähnlichen Ansatz. Durch die Einführung eines integrierten Managementsystems mit den drei Hauptnormen, das von der SQS zertifiziert wird, hat Lazzarini deutliche Fortschritte in der nachhaltigen Baupraxis erzielt. Durch kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Managementsysteme gelingt es Lazzarini, nicht nur die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, sondern auch einen messbaren Beitrag zur Reduktion von Emissionen und Abfall zu leisten.

Mehr über die erfolgreichen Strategien von Implenia und Lazzarini und ihre Erfahrungen mit der Integration von Managementsystemen finden Sie im SQS-Blogbeitrag «Fertig gebaut ist nie – wie und wozu Implenia und Lazzarini ihre Managementsysteme integrieren».

Die Bau- und Immobilienbranchen als Treiber gesellschaftlicher Veränderung?

Labels und Standards haben über die eigentliche Verwendung hinaus Potenzial zur Veränderung. Sie können die Bau- und Immobilienbranchen dazu anregen, über das blosse Erfüllen von Mindestanforderungen hinauszugehen und aktiv zur Reduktion von Emissionen und Ressourcenverbrauch beizutragen. Wenn die Branche diese Instrumente richtig einsetzt, können sie helfen, die Qualität des Gebäudebestands nachhaltig zu verbessern und gleichzeitig einen bedeutenden gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen.

Dieser Mehrwert ist umso grösser, wenn die Standards nicht nur ökologische, sondern auch soziale und wirtschaftliche Faktoren in die Bewertung einbeziehen. Dies kann den Weg ebnen für ein umfassenderes Verständnis von Nachhaltigkeit, das neben der CO₂-Reduktion auch die Schaffung von Lebensräumen, die den Menschen zugutekommen, in den Mittelpunkt stellt.

Positive Entwicklungen zeigen, dass die Bemühungen im Gebäudesektor in einigen Bereichen bereits Wirkung zeigen. In der Schweiz ist der Treibhausgas-Ausstoss im Gebäudesektor gesunken, was zu einem grossen Teil auf die zunehmende Nutzung erneuerbarer Energien und die Verbesserung der Energieeffizienz zurückzuführen ist. Laut einem Bericht des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) konnte die Schweiz ihre Emissionen im Gebäudesektor zwischen 1990 und 2020 um rund 44 Prozent reduzieren. 

Diese Fortschritte sollten die Akteure in den Bau- und Immobilienbranchen motivieren, weiterhin in nachhaltige Praktiken und Technologien zu investieren und die vorhandenen Potenziale bestmöglich zu nutzen.

Nah am Schweizer Markt: Was KMU für ihren Erfolg brauchen 

Als nicht Profit orientierte Vereinigung stehen wir im Dienst unserer Mitglieder und Kunden – und der KMU-Landschaft der Schweiz. Veränderte Bedürfnisse und neue Anforderungen treiben die SQS an, Unternehmen dort zu unterstützen, wo es sie am meisten vorwärtsbringt. Glaubwürdigkeit, wo Glaubwürdigkeit gefragt ist. 

Während der SSREI insbesondere für institutionelle Anleger und Immobilienportfolios Mehrwert schafft, sind die Auditierung und Zertifizierung von Managementsystemen nach ISO-Normen für viele KMU ein wertvolles Instrument, um Qualitäts- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die SQS bietet zudem weitere Dienstleistungen an, die auf wirtschaftliche, ökologische und soziale Aspekte fokussieren und die spezifischen Bedürfnisse unterschiedlicher Branchen abdecken:

  • Mit esg2go wird ein einfacher Zugang zur Nachhaltigkeitsberichterstattung geschaffen, inklusive einer Verifizierung durch die SQS. Dies ermöglicht Unternehmen eine transparente Kommunikation ihrer Nachhaltigkeitsleistungen, ähnlich wie der SSREI dies für Bestandsimmobilien tut.
  • Circular Globe ist ein Assessment-Tool, das Unternehmen auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft begleitet – ein Konzept, das auch im Bauwesen zunehmend an Bedeutung gewinnt, etwa durch die Wiederverwendung von Materialien und die Minimierung von Abfällen.
  • Work-Family Balance und Fair Compensation sind darauf ausgelegt, soziale Nachhaltigkeitsaspekte in den Vordergrund zu stellen, indem sie Unternehmen hinsichtlich fairer Arbeitsbedingungen und Lohngerechtigkeit bewerten – wichtige Elemente, um ganzheitliche Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
     

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