Management, Umweltanforderungen

Nachhaltigkeit als System: Wie das SPZ ein integriertes Nachhaltigkeitsmanagement auf Basis von ISO 14001 einführte

Adrian Hanselmann

Veröffentlicht am: 12.12.2024

Lesedauer

ca. 5 Minuten

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) zeigt, wie Umwelt- und Sozialinitiativen mit einem ISO-Managementsystem (ISO-MS) zu einem strukturierten Nachhaltigkeitsmanagement zusammengeführt werden können. Ein Beispiel, das für Schweizer KMU ein Vorbild sein kann. Wir haben mit dem internen Leiter Nachhaltigkeit Mirko Scheidegger und Clemens Lang gesprochen, der das SPZ als externer Berater begleitet hat.  

Nachhaltigkeitsanforderungen betreffen alle – nicht nur börsennotierte Unternehmen, sondern zunehmend auch mittlere und kleine Organisationen. Eine Analyse der BSS Volkswirtschaftliche Beratung AG  zeigt, dass bereits in naher Zukunft bis zu 50 000 Schweizer KMU direkt oder indirekt – durch ihre Kundenbeziehungen – von Berichterstattungspflichten betroffen sein dürften. 

Doch für viele Unternehmen ist es nicht allein eine Pflicht, sondern eine intrinsische Motivation, sich mit Nachhaltigkeitsberichterstattung und damit verbunden mit einem Nachhaltigkeitsmanagement auseinanderzusetzen. Es stellt sich dann aber immer die Frage: Wo beginnen? Ein möglicher Weg ist, sich anhand von bewährten ISO-Managementsystemen (ISO-MS) an das Thema heranzuwagen. So hat es das Schweizer Paraplegiker-Zentrum gemacht. 

 

Wo beginnen: Vom Entscheid zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie

Im Rahmen der Konsolidierung und Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsbestrebungen zusammen mit einer neuen Nachhaltigkeitsberichterstattung hat das SPZ zusätzlich zu seinem Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001 ein Umweltmanagementsystem (UMS) nach ISO 14001 aufgebaut – und gleichzeitig auf dieser Grundlage ein System entwickelt, um alle Nachhaltigkeitsprojekte zusammenzubringen.

Der Druck zur Veränderung kam sowohl von aussen als auch von innen: Einerseits wird im grösseren wirtschaftlichen Kontext zunehmend Rechenschaft über ökologische und soziale Belange verlangt. Andererseits – und das war der Hauptantrieb – wollte das SPZ seine langjährige Verantwortung stärker mit messbaren Zielen verknüpfen. Beschleunigend kam hinzu, dass sich die verantwortliche Person auf die Pension vorbereitete und die verschiedenen Nachhaltigkeitsinitiativen in der Organisation fest verankern wollte. 

 

Historisch gewachsene Initiativen: Herausforderungen und Potenzial

Als das SPZ sich entschied, für 2023 einen Nachhaltigkeitsbericht zu publizieren und gleichzeitig ein UMS einzuführen, begann der Prozess mitnichten bei null. «Wir hatten viele erfolgreiche Einzelinitiativen, aber es fehlte eine kohärente Strategie und ein übersichtliches Management-Tool, das alle Nachhaltigkeitsaspekte integriert», sagt Mirko Scheidegger, Leiter Nachhaltigkeit beim SPZ.

Wie bei vielen KMU bestanden bereits zahlreiche Projekte: von Minergie-zertifizierten Gebäuden über eine Seewasser-Wärmepumpe bis zu sozialen Programmen wie der Förderung von Diversität und Inklusion. Der erste Schritt bestand nun darin, diese Initiativen systematisch zusammenzubringen und Synergien zu identifizieren. Dafür griff das SPZ auf die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UN zurück und definierte auf dieser Basis sieben Fokusthemen. 

Damit hatte man «Nachhaltigkeitsgefässe» zur Verfügung, denen die bestehenden Projekte zugeteilt werden konnten. So kamen laufend mehr Initiativen hinzu, die davor nicht dem Thema Nachhaltigkeit zugerechnet worden waren. Das führte im Konsolidierungsprozess zu einem wiederholten «Aha, das ist auch Nachhaltigkeit» bei den Mitarbeitenden.

Die Herausforderung, historisch gewachsene Strukturen effizient in ein neues System zu überführen, wurde beim SPZ durch eine pragmatische Herangehensweise gelöst: Statt bestehende Prozesse zu ersetzen, wurden sie erweitert und integriert. Mit Unterstützung von externer Beratung wurde zuerst eine übergeordnete Nachhaltigkeitsstrategie entworfen. Für die konkrete Umsetzung des Managementsystems kam dann der Nachhaltigkeitsexperte und Coach Clemens Lang hinzu, um anhand etablierter Standards wie der ISO 14001 und der Global Reporting Initiative (GRI) die Strategie in die Praxis zu überführen und alles Bestehende mit dem Geplanten zusammenzubringen. 

 

Systematisierung schafft Mehrwert: das UMS als Basis 

Um das UMS nach ISO 14001 mit den GRI-Vorgaben zu verbinden, konnte die vorgegebene ISO-Struktur mit einigen Anforderungen ergänzt werden. 

Ein zentraler Baustein dazu war das Herzstück jeder Nachhaltigkeitsberichterstattung, die doppelte Wesentlichkeitsanalyse, als Erweiterung der Kontextanalyse des UMS: Sie hilft, die wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen aus zwei Perspektiven zu betrachten. Welche Auswirkungen hat die Organisation auf Umwelt und Gesellschaft (Inside-Out), und welche Risiken und Chancen ergeben sich durch externe Entwicklungen für die Organisation (Outside-In)?

Die Ergebnisse dieser Analyse flossen in die Definition der sieben Fokusthemen auf Basis der SDGs ein, darunter Mobilität, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität. Jedes Thema wurde mit klaren Zielen und konkreten Projekten hinterlegt.

Zusätzlich erleichterte die Systematisierung die Einhaltung möglicher regulatorischer Anforderungen. «Mit dem Nachhaltigkeitsbericht, der an den GRI-Standards ausgerichtet ist, ist das SPZ nicht nur transparent, sondern auch gut vorbereitet auf zukünftige gesetzliche Vorgaben», erklärt Clemens Lang.

So konnten drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden. Einerseits liess sich das UMS nach ISO 14001 durch die SQS zertifizieren und andererseits konnte auf der Grundlage ein Nachhaltigkeitsbericht nach GRI erstellt werden. Und drittens wurde ein Managementsystem eingeführt, mit dem sich zukunftsgerichtetes Handeln effizient planen und messen lässt. 

 

Die Rolle der SQS: Orientierung und Verbindlichkeit

Die eine besondere Herausforderung des SPZ war der Zeitdruck: weniger als 5 Monate lagen zwischen der Übergabe des Nachhaltigkeitsdossiers und dem Stichtag des Austretens des bisherigen Nachhaltigkeitsverantwortlichen. Die andere Herausforderung war die konkreten Vorgaben der Norm an das Umweltmanagementsystem, in das Prozesse, die über die Norm hinaus gehen, integriert wurden. 

Eine entscheidende Unterstützung im Prozess bot die SQS: Mit einem Voraudit half die SQS dem SPZ, den Status quo zu ermitteln und Lücken aufzudecken. Damit erhielt das Projektteam wertvolle Einblicke, um bestehende Prozesse fit zur gezielten Weiterentwicklung zu machen und somit das Audit ein paar Monate später zu bestehen.

Darüber hinaus verlieh die externe Perspektive der SQS dem Projekt Verbindlichkeit und Legitimation. «Ein unabhängiger Blick von aussen schafft Vertrauen – sowohl intern als auch gegenüber externen Stakeholdern», betont Scheidegger. Der unabhängige Aussenblick der SQS trug dazu bei, das Nachhaltigkeitsmanagement auf ein solides Fundament zu stellen und die Zertifizierung des UMS nach ISO 14001 erfolgreich zu meistern.
 

Lehren für Schweizer KMU: 4 Tipps aus der Praxis +

Viele KMU stehen zurzeit vor der Frage, was sie unternehmen sollen, wenn es um die Nachhaltigkeit geht. Einzig nichts tun ist keine Option. Werfen wir einen Blick auf einige Erkenntnisse aus dem Prozess des SPZ, die auch für KMU wertvoll sein können:

  1. Bestehendes nutzen: Historisch gewachsene Systeme und Projekte müssen keine Last, sondern können eine Ressource sein. Mit dem systemischen Ansatz der ISO-Normen können sie für eine Nachhaltigkeitsstrategie und ein umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement genutzt werden.
  2. Standards als Leitplanken: Die Orientierung an etablierten Standards wie ISO 14001 oder GRI bietet nicht nur Struktur, sondern erleichtert auch die interne und externe Kommunikation sowie Vergleichbarkeit und vereinfachte Weiterentwicklung.
  3. Führung und Kommunikation: Ein klares Commitment der Geschäftsleitung und transparente Kommunikation sind entscheidend, um Mitarbeitende und externe Stakeholder einzubinden. Governance ist sowohl für ISO-MS als auch für die Nachhaltigkeit zentral.
  4. Kontinuierliche Verbesserung: Nachhaltigkeit ist kein statisches Ziel, sondern ein dynamischer Prozess, der laufend überprüft und angepasst werden muss – ganz im Sinne des KVP in allen ISO-MS. 
     

Ein System mit Zukunft: Zusammenspiel von ISO-MS und Nachhaltigkeit

ISO-Normen für Managementsysteme als Instrumente für Nachhaltigkeitsmanagement zu nutzen, ist naheliegend. Das zeigt nicht nur das Beispiel des Schweizer Paraplegiker-Zentrums, sondern auch die internationale ISO-Community. Kürzlich hat die ISO dafür ein Rahmenwerk, ein sogenanntes «International Workshop Agreement», vorgestellt. Anhand dieses Leitfadens werden  die Beziehungen zwischen ISO-MS und ESG aufgezeigt. Primär werden die Interoperabilität sichtbar gemacht und ein Reifegrad-Ansatz integriert. In der Bandbreite bestehender ISO-Normen lassen sich die drei ESG-Grundpfeiler Ökologie, Soziales und Governance abdecken. 

In einer jüngst durchgeführten Umfrage der Fachhochschule Graubünden und der SQS waren viele Schweizer Unternehmen der Meinung, dass ISO-MS sich für nachhaltige Unternehmensführung eignen. Die Praxis zeigt: Es funktioniert. Und immer mehr KMU begeben sich auf diesen Weg. 

ISO4ESG – Ihre Meinung ist gefragt

«ISO4ESG» steht für die zukunftsweisende Nutzung von ISO-Managementsystemen (ISO-MS) im Kontext von Umwelt (Ecology), Gesellschaft (Society) und Unternehmensführung (Governance). Wir von der SQS engagieren uns seit Jahrzehnten für die pragmatische Anwendung und  Weiterentwicklung von ISO-MS in der Schweizer Wirtschaft. Mit ISO4ESG benennen wir unsere Anstrengungen, ISO-MS für die effiziente und effektive Erfüllung der zunehmenden Anforderungen an eine nachhaltige Unternehmensführung zu nutzen.

Ihre Meinung ist uns dabei wichtig. Bitte nehmen Sie sich fünf bis zehn Minuten Zeit, um an unserer Umfrage teilzunehmen. Ihr Feedback trägt dazu bei, praxistaugliche Lösungen zu erarbeiten – und Sie erhalten die Möglichkeit, sich künftig mit Branchenkolleginnen und -kollegen auszutauschen. 

Je drei Fragen an die Verantwortlichen

Welche Schritte waren entscheidend für die Integration des Umweltmanagementsystems nach ISO 14001 im SPZ?
Clemens Lang: Zunächst war es unabdingbar, die uneingeschränkte Unterstützung der Geschäftsleitung zu erhalten, um in der vorgegebenen Zeit das System wirksam einzuführen. Dann galt es, das Projekt klar und zielgerichtet zu strukturieren, sowie die Gaps zu analysieren, um einen machbaren Umsetzungsplan zu entwickeln. Mit der überschaubaren Vorgehensweise war es dann relativ leicht möglich, das beteiligte Team zu motivieren. Schliesslich war eine fokussierte und zügige Umsetzung wichtig, bei der immer auf eine genau dosierte externe Beratungsintensität geachtet wurde.

Was unterscheidet das Nachhaltigkeitsmanagement der SPZ vom Umweltmanagementsystem auf Basis der ISO 14001?
C.L.: Grundsätzlich stellt das «SPZ-Nachhaltigkeitsmanagementsystem» ein Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 dar. Die zugrundeliegende Struktur ist identisch. Lediglich die behandelten Themen wurden um die sozialen und governancebezogenen Aspekte der Nachhaltigkeit ergänzt. Es wird sozusagen eine bestehende Struktur mit weiteren Themen aufgefüllt. Die zusätzlichen Aspekte werden im Rahmen des Managementsystems gleichwertig behandelt, aber bei der Zertifizierung nur am Rande betrachtet.

Was war das wichtigste Learning in diesem Prozess?
C.L.: Das wichtigste Learning bestand darin, Synergien zu nutzen. Dabei war einerseits wichtig, die Verbindungen und Überlappungen der genutzten angewandten Normen untereinander zu erkennen und clever möglichst integriert umzusetzen. Ausserdem konnte, indem bereits bestehende und vorhandene Elemente identifiziert und möglichst weitgehend einbezogen wurden, viel Aufwand eingespart und, was fast noch wichtiger ist, entsprechende Wertschätzung für das bereits Erarbeitete gegeben werden.

C

Clemens Lang, Nachhaltigkeitsberater und Coach 
Bild: zvg

 

Welche Meilensteine hat das SPZ in der Nachhaltigkeitsstrategie erreicht?
Mirko Scheidegger: In kurzer Zeit hat das SPZ ein Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 aufgebaut und mit dem Qualitätsmanagement nach ISO 9001 in ein integriertes System überführt. Zu den weiteren Meilensteinen zählen eine gesteigerte Energieeffizienz, zahlreiche Biodiversitätsmassnahmen (etwa zusätzliche Begrünungen und Lebensräume für Bodenwildbienen und Fledermäuse), Optimierungen im Gebäudebetrieb und eine deutliche Reduktion von Lebensmittelabfällen. Zudem wurden klare Nachhaltigkeitsziele gesetzt, ein Nachhaltigkeitsbericht nach GRI-Anlehnung veröffentlicht sowie ein Mobilitäts- und ein Kreislaufkonzept entwickelt – all dies stärkt das langfristige Engagement des SPZ.

Was waren und was sind die grössten Herausforderungen für Sie als Leiter Nachhaltigkeit, damals noch Verantwortlicher für das Fokusthema "Ressourcen" und Mitglied im Kernteam zur Einführung der ISO 14001?
M.S.: Bereits vor der Einführung der ISO 14001 hatten wir zahlreiche Massnahmen umgesetzt und dokumentiert. Die grösste Herausforderung bestand jedoch darin, diese Vorarbeiten innerhalb von nur vier Monaten in eine strukturierte und übersichtliche Form zu bringen, die den Anforderungen der Norm entspricht. Dank der professionellen Unterstützung von Clemens Lang konnten wir diese anspruchsvolle Aufgabe erfolgreich bewältigen und die Grundlage für die Zertifizierung schaffen.

Welche Vorteile brachte die ISO 14001-Zertifizierung für das SPZ?
M.S.: Als Leiter Nachhaltigkeit des Schweizer Paraplegiker-Zentrums sehe ich die ISO 14001-Zertifizierung als wichtigen Meilenstein auf unserem Weg zu einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Betriebsführung. Die Zertifizierung schuf klare Strukturen für kontinuierliche Verbesserungen, effizienten Ressourceneinsatz und rechtssichere Prozesse. Mit dem integrierten Managementsystem aus Umwelt- und Qualitätsaspekten wird Nachhaltigkeit fester Bestandteil der Unternehmensstrategie. Das stärkt das Image, bindet die Mitarbeitenden ein und macht Fortschritte messbar. Insgesamt unterstützt die ISO 14001-Zertifizierung das SPZ dabei, langfristig nachhaltiger, transparenter und wettbewerbsfähiger zu agieren.

Mirko Scheidegger, Leiter Nachhaltigkeit SPZ 
Bild: zvg