Umweltanforderungen, SQS-Wissen

Kreislaufwirtschaft in der Schweiz: veränderte politische und rechtliche Bedingungen

adrian.hanselmann@sqs.ch

Adrian Hanselmann

Veröffentlicht am: 16.05.2024

Lesedauer

ca. 4 Minuten

Der Frühling 2024 hat einen politischen und meteorologischen Wetterumschwung gebracht. Ein entscheidender Moment für Umweltschutz und Wirtschaft: Das Schweizer Parlament hat der Teilrevision des Umweltgesetzes zugestimmt und ergänzt es um «Kreislaufwirtschaft». Was dies für Schweizer Unternehmen bedeutet, weshalb es mit Recycling nicht getan ist und warum ein Umdenken nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist, lesen Sie in diesem Beitrag.  

Neuerungen des Umweltschutzgesetzes: Weckruf für die Wirtschaft

Mit der Revision des Umweltschutzgesetzes verfolgt die Schweizer Politik das ambitionierte wie notwendige Ziel, die Kreislaufwirtschaft anzustossen.  

 

Das Wichtigste in Kürze +
  1. Gesetzliche Verankerung: «Kreislaufwirtschaft» wird erstmalig im Umweltschutzgesetz definiert, was die Ressourcenschonung hervorhebt.

     

  2. Produktlebenszyklus: Unternehmen müssen den gesamten Zyklus ihrer Produkte beachten, um Effizienz und Nachhaltigkeit zu fördern.

     

  3. Umweltstandards: Es gelten strengere Anforderungen für die Umweltverträglichkeit und Langlebigkeit von Produkten und Verpackungen.

     

  4. Produzentenverantwortung: Hersteller sind stärker für ökologische Auswirkungen ihrer Produkte verantwortlich, inklusive Abfallreduktion.

     

  5. Wiederverwendung Priorität: Der Fokus liegt auf der Wiederverwendung oder stofflichen Verwertung von Materialien, wenn praktikabel.

Konkret wird das bestehende Umweltschutzgesetz, welches für Unternehmen bisher für die Abfallbewirtschaftung und Entsorgung relevant war, mit den Rahmenbedingungen für die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft ergänzt. Entsprechend wird darin verlangt, Ressourcen zu schonen und Recycling zu fördern. Das Novum liegt nun darin, dass die Kreislaufwirtschaft über die bisherige Abfallbewirtschaftung hinausgeht. So rücken etwa die graue Energie beim Häuserbau bis hin zur Verbesserung des Produktlebenszyklus für Produkte mit einem möglichen Reparatur-Index in den Fokus.

 

Für Unternehmen, die sich um Nachhaltigkeit bemühen, ist die Teilrevision ein Steilpass. Denn wer bisher in nachhaltiges Wirtschaften investiert hat, wird belohnt. Zusätzlich sollen Initiativen zur Förderung sowie zur Bildung von Fachpersonen unterstützt werden. 

 

Der globale Wandel für eine Kreislaufwirtschaft wird laut einer Studie der UNCTAD mehrheitlich von Unternehmen vorangetrieben. Ist das Gesetz deshalb redundant? Keineswegs: Unternehmen mit entsprechendem Engagement werden bestärkt und alle anderen dazu aufgefordert, ihnen dies gleichzutun. Wer im Markt profitieren möchte, wird auch in Zukunft über die Gesetzgebung hinaus investieren.  

 

Oder wie es Marc Liechti, CEO des Möbelherstellers Zesar.ch SA, auf den Punkt bringt: «Wer nicht in die Kreislaufwirtschaft investiert, ist morgen weg vom Fenster». Er nutzt dafür mit Erfolg das Reifegradmodell von Circular Globe.  

Circular%20Globe%20Label_Grundlogo_l.jpg

Zu Circular Globe 

Circular Globe ist ein internationales Reifegrad-Modell für die Kreislaufwirtschaft und ein verifizierbares Label. Es ermöglicht Unternehmen, ihre Kreislauffähigkeit zu analysieren, zu verbessern, zu bewerten und zu kommunizieren. Entwickelt wurde Circular Globe durch die SQS und Quality Austria. Mehr Informationen finden Sie hier

CAS zur Kreislaufwirtschaft 

Die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) führt ab November 2024 auf der Basis von Circular Globe einen CAS-Kurs durch. Er macht die Teilnehmenden mit den Prinzipien und konkreten Instrumenten der Kreislaufwirtschaft vertraut und ermöglicht es ihnen, sich mit gleichgesinnten Entscheidungsträger/innen zu vernetzen. Mehr Informationen finden Sie hier

Kreislaufwirtschaft ist mehr als Recycling: Kreise schliessen! 

Für viele Unternehmerinnen und Unternehmer ist Kreislaufwirtschaft kein Fremdwort. Bereits im Begriff Recycling schwingt der Kreislauf mit, und bedeutet, kostbares Material auf eine weitere Reise durch den Produktionskreislauf zu schicken. Damit sollen Ressourcen mehrfach verwendet und Abfälle reduziert werden. Dies deckte das Umweltschutzgesetz mit dem Fokus auf Abfallwirtschaft bereits vor der Teilrevision ab.  

Erklärgrafik Kreislaufwirtschaft

Quelle: bafu.admin.ch

 

 

Kreislaufwirtschaft ist aber nicht nur Recycling. Dahinter steckt die Notwendigkeit, mehr als nur den Produktionskreislauf zu betrachten, sondern darüber hinaus so viele Kreise wie möglich zu schliessen (siehe Grafik). Dies beinhaltet den ganzen Prozess von der Entwicklung, zur Herstellung bis zu Reparatur, die Wiederaufbereitung von Produkten und die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten.  

 

Erst dann kann von Kreislaufwirtschaft die Rede sein. Deshalb lässt sie sich auch nicht einfach durch eine zusätzliche Stelle oder einen ergänzenden Prozess in das Unternehmen integrieren – das eigentliche Geschäftsmodell wird auf den Prüfstand gestellt. So gesehen, ist die Kreislaufwirtschaft nicht nur ein neues Gesetz, das eingehalten werden muss, sondern ein beherzter Schritt zu einem Paradigmenwechsel für zukunftsfähiges Unternehmertum.  

 

Die Herausforderung für Unternehmen ist es, dass sie meist nicht wissen, wo anfangen. Eine Möglichkeit liegt in Instrumenten wie Circular Globe, die einem aufzeigen, wo der Weg hinführen könnte. An einem Kompakt-Assessment kann Unternehmen auch in einer frühen Phase aufgezeigt werden, wo Potenziale und Herausforderungen liegen. 

 

Wo steht die Schweiz?  

Die Schweiz prescht mit dem neuen Gesetz nicht etwa vor, wenn wir den internationalen Vergleich anschauen. Deutschland – das Land, das für seine Abfalltrennung bekannt ist – hat bereits seit 2012 ein Kreislaufwirtschaftsgesetz. Im Vergleich zur neuen Teilrevision der Schweiz begrenzt sich dieses jedoch hauptsächlich auf Abfall. Zudem ist es in der Umsetzung zahnlos. Bis heute kann höchstens ein geringer Erfolg verbucht werden. Kein Vorbild also und im Vergleich zum neuen Schweizer Gesetz vorwiegend dem Namen, jedoch nicht dem Inhalt ähnlich.  

 

Die EU schlägt hingegen andere Töne an und nimmt seit 2021 die Hersteller in Bezug auf Wiederverwertung, Energieeffizienz sowie Lebensdauer und Reparatur in die Pflicht. Zudem verabschiedete das EU-Parlament kürzlich das «Recht auf Reparatur», das Unternehmen dazu auffordert, reparierbare Produkte herzustellen und Ersatzteile bereitzustellen. Einzelne Mitgliedstaaten motivieren die Konsumentenseite mit kleineren Anreizen: So fördert Frankreich die Reparatur mit einem Reparaturbonus, und in Österreich erhalten alle, die ein Gerät reparieren lassen, anstatt es zu entsorgen, 50% der Reparaturkosten zurückerstattet.  

 

In der Schweiz ist das Potenzial für Kreislaufwirtschaft gross: Gemäss dem Circularity Gap Report ist die Kreislauffähigkeit der Schweizer Wirtschaft im Jahr 2023 mit 6,9% ziemlich tief. Mit dieser Kennzahl wird die Höhe der kreislauforientierten Wirtschaft global gemessen. Die gleiche Studie führt aus, dass relativ einfach eine Verdopplung der Kreislauffähigkeit möglich ist. In der Umsetzung hapert es jedoch. Zumindest mit der Teilrevision des Umweltschutzgesetzes nimmt das Thema nun Fahrt auf. Man könnte sagen: Das politische und juristische Klima verändert sich.  

 

Ob sich der Vorstoss dann tatsächlich auf eine nachhaltigere Wirtschaft ummünzen lässt, hängt in erster Linie davon ab, wie die regulatorischen Anforderungen durch- und umgesetzt werden. Da das Gesetz in den meisten Punkten keine handfeste Grundlage dafür bietet, wie mit Verfehlungen umgegangen werden soll, bleibt abzuwarten, wie es sich in der Praxis auswirkt. 

ISO 59004 

Die ISO 59004 bietet einen umfassenden Leitfaden zur Kreislaufwirtschaft, um Organisationen auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit zu unterstützen. Durch die Definition von Schlüsselbegriffen und die Etablierung von Kernprinzipien hilft sie Unternehmen, unabhängig von ihrer Grösse oder Branche, effektive Strategien für den Übergang zu einer umweltbewussteren Betriebsweise zu entwickeln. Ein wertvoller Navigator in Richtung einer grüneren und nachhaltigeren Zukunft.

Druckfrische ISO-Normen für Kreislaufwirtschaft

Nicht nur in der Schweiz oder der EU ist die Kreislaufwirtschaft ein zentrales Element zur Erreichung der international vereinbarten Klimaziele. Am 22. Mai 2024 wurde die neue Normenreihe ISO 59000 vorgestellt. Sie bietet einen Leitfaden, wie Kreislaufwirtschaft im Bereich der Managementsysteme ausgerollt werden kann. Für alle Unternehmen, die bereits mit ISO bewandert sind, ist diese Norm besonders hilfreich, um sich dem Thema Kreislaufwirtschaft anzunehmen und sich damit ständig zu verbessern.

Unser Newsletter bringt relevante und interessante Inhalte zu Ihnen

Möchten Sie informiert werden, wenn wir einen neuen Beitrag aufschalten? Dann abonnieren Sie unseren SQS-Blog-Newsletter. Sie können sich jederzeit wieder abmelden.