Management, Umweltanforderungen

«KMU müssen die nichtfinanzielle Berichterstattung jetzt angehen»

alex.gertschen@sqs.ch

Alex Gertschen

Veröffentlicht am: 16.01.2024

Lesedauer

ca. 7 Minuten

Ab diesem Jahr müssen grosse Unternehmen in der Schweiz einen Klimabericht erstellen. Dafür benötigen sie entsprechende Informationen von ihren Zulieferern. Der Anwalt Martin Eckert, Spezialist für nachhaltige Unternehmensführung, rät kleinen und mittleren Unternehmen aber, sich zunächst zwei anderen «scharf regulierten» Themen zu widmen: Konfliktmineralien und Kinderarbeit.

Interview: Alex Gertschen

Martin Eckert, seit dem 1. Januar ist die «Verordnung zur verbindlichen Klimaberichterstattung grosser Unternehmen» in Kraft (vgl. Tabelle unten). Welche Folgen hat sie für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)?

Die Verordnung stützt sich auf die Empfehlungen der internationalen Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD). Gemäss diesen Empfehlungen sollten grosse Unternehmen in ihrer Klimaberichterstattung die Treibhausgasemissionen ihrer Zulieferer berücksichtigen. Deshalb erwarte ich, dass KMU spätestens im Herbst von ihren Grosskunden aufgefordert werden, entsprechende Daten für das Jahr 2024 mitzuteilen.

 

Sind die KMU dazu in der Lage?

Viele sind es wohl nicht. Obwohl die Klimaberichterstattung zurzeit in aller Munde ist, würde ich als KMU aber im Bereich der nichtfinanziellen Berichterstattung den Fokus auf andere Themen legen: Konfliktmineralien und Kinderarbeit.

 

Warum würden Sie so priorisieren?

Das hat zum einen mit der Verordnung zur Klimaberichterstattung selbst zu tun. Die TCFD-Empfehlungen handeln ja von «relevanten klimabedingten Risiken und Chancen». Grosskunden werden gegenüber ihren Zulieferern also dann verbindlich Daten zu den Treibhausgasemissionen einfordern, wenn sie diese als wesentlich betrachten. Und bei solchen Wesentlichkeitsbeurteilungen gibt es immer Interpretationsspielraum, den auch KMU für sich nutzen können. Zugleich ist klar, dass der Druck – auch vonseiten des Regulators – zunehmen wird. Ich empfehle deshalb, dass KMU die Klimaberichterstattung 2025 angehen.

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Zur Person

Der promovierte Jurist und Anwalt Martin Eckert ist einer der drei Gründungspartner der Kanzlei MME, die in Zürich ihren Hauptsitz und in Zug eine Zweigstelle hat. Zu Eckerts Schwerpunkten gehören das Klimarecht, die nachhaltige Unternehmensführung sowie die nichtfinanzielle Berichterstattung. Er ist u.a. im Advisory Board von esg2go, eines für KMU entwickelten Tools zur Nachhaltigkeitsbewertung und -berichterstattung. Der 60-jährige Eckert führt wirtschaftsrechtliche Prozesse, insbesondere Handelsgerichtsprozesse und Schiedsverfahren.

Weil die Themen Konfliktmineralien und Kinderarbeit dringlicher sind.

Genau. Diese Regulierung ist bereits scharf. Mit Blick auf Deutschland würde ich sogar sagen: sehr scharf!

 

Bitte erklären Sie dies.

In der Schweiz ist seit dem 1. Januar 2023 die «Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit» (VSoTr) anzuwenden. Von den Bestimmungen zu Mineralien und Metallen sind alle Unternehmen betroffen, die Zinn, Tantal, Wolfram, deren Erzen oder Gold aus Konflikt- und Hochrisikogebieten importieren oder bearbeiten. Mein Eindruck ist: Obwohl Schweizer KMU extrem international unterwegs sind, haben erst wenige ihre Lieferketten entsprechend durchleuchtet und dies sauber dokumentiert.

Nachhaltigkeitsberichterstattung

© BritCats Studio – stock.adobe.com

Was kann dies für Folgen haben?

Die VSoTr verlangt, dass entsprechende Risiken in der Lieferkette identifiziert und gegebenenfalls Massnahmen getroffen werden sowie darüber berichtet wird. Wenn ein Unternehmen dies unterlässt oder falsche Angaben kommuniziert, macht sich der Verwaltungsrat gemäss Strafgesetzbuch strafbar. Seit dem vierten Quartal 2023 erhalten wir vermehrt Anfragen von Unternehmen, wie sie damit umgehen sollen. Da ist Druck in den Unternehmen.

 

Ist das nicht ein Papiertiger? Das Risiko, dass der Verwaltungsrat eines Unternehmens hierfür angeklagt und verurteilt wird, erscheint gering.

Ein Papiertiger ist es nicht. Da es sich gemäss dem Strafgesetzbuch um ein Offizialdelikt handelt, kann jedermann Anzeige erstatten. Aber das Reputationsrisiko – zum Beispiel durch die Kritik einer zivilgesellschaftlichen Organisation (NGO) – ist sicherlich grösser und wichtiger als das Risiko eines Strafverfahrens und einer Busse. Ich bin wirklich gespannt auf die Berichtsaison und kann mir vorstellen, dass NGOs oder auch die Politik Fälle von fehlender oder mangelhafter Berichterstattung öffentlich machen werden.

Warum ist auch das Thema Kinderarbeit dringlich? Die VSoTr befreit KMU von einer entsprechenden Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht.

Das stimmt. Es sei denn, Produkte oder Dienstleistungen werden offensichtlich unter Einsatz von Kinderarbeit hergestellt oder erbracht. Hier kommt auch das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ins Spiel. Viele Schweizer KMU sind Zulieferer von deutschen Unternehmen, die dafür sorgen müssen, dass in ihren Lieferketten die Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Deutsche Einkäufer müssen von den Schweizer KMU verlangen, dass sie die menschenrechts- und umweltbezogenen Erwartungen erfüllen und hierzu vertragliche Zusicherungen abgeben. 

 

Warum bezeichnen Sie das deutsche Lieferkettengesetz als sehr scharf?

Weil die Anforderungen präzise und umfassend sind sowohl Menschenrechte als auch Umweltstandards betreffen und für die Durchsetzung des Gesetzes eine Aufsichtsbehörde eingesetzt worden ist. Die Europäische Union beschreitet mit ihrer Lieferkettenrichtlinie – der Corporate Sustainability Due Diligence Directive – denselben Weg. Zwar dürfte es noch zwei, drei Jahre dauern, bis die Mitgliedsstaaten sie in nationales Recht umsetzen und damit wirksam machen, doch ist schon jetzt klar, dass dies auch für Schweizer KMU ziemlich heftig werden wird. Auch die EU wird eine Aufsichtsbehörde einsetzen. Zudem wird sie verlangen, dass die Sorgfaltsprüfung und die Berichterstattung nicht nur die Zulieferer abdeckt («upstream»), sondern auch die Kunden («downstream»). 

 

Diese regulatorischen Entwicklungen stellen für KMU eine Herausforderung dar. Sehen Sie auch Chancen?

Die Herausforderung ist, dass wir weder in der Schweiz noch in anderen Ländern Leute haben, die dafür ausgebildet wurden, Lieferketten aus einer Menschenrechtsperspektive zu untersuchen. Das gibt es einfach nicht! Und ja, die Schweiz als global vernetzte Wirtschaft ist davon besonders betroffen. Zugleich sehe ich eine Riesenchance. Denn wenn jemand in der Welt als «clean» gilt, dann die Schweiz! Hinzu kommt: Die KMU sind in der Praxis oft besser, als sie selbst wissen.

 

Wie meinen Sie das?

Ich beobachte gerade in kleinen börsenkotierten Unternehmen, dass die Geschäftsleitung zum Teil gar nicht weiss, wie weit die eigenen Leute an der Front schon sind. Einkäufer zum Beispiel wählen die Zulieferer oft auch unter Gesichtspunkten der Menschenrechte aus und wenden dabei Branchenrichtlinien an. Mit der gesetzlichen Pflicht, darüber zu berichten, kommen solche Praktiken nun an die Oberfläche. Und genau darum geht es ja bei der Sorgfaltspflicht: um die Bemühungen. Wenn KMU sich bewusst bemühen, das Risiko von Menschenrechtsverletzungen in der eigenen Lieferkette zu minimieren und darüber transparent berichten, brauchen sie keine Angst zu haben. Aber sie müssen das Thema jetzt angehen.

Schweizerisches Obligationenrecht (OR) und EU-Recht zur nichtfinanziellen Berichterstattung

OR-Abschnitt

OR, sechster Abschnitt zu «Transparenz über nichtfinanzielle Belange»

OR, achter Abschnitt zu «Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit»

Artikel

Art. 964a-c OR

Art. 964j-l OR

Betroffene Unternehmen und Gegenstand der Berichterstattung

Gemäss Art. 964a-c müssen Unternehmen über nichtfinanzielle Belange Bericht erstatten, wenn sie in zwei aufeinanderfolgenden Jahren mindestens 500 Vollzeitstellen, eine Bilanzsumme von mindestens CHF 20 Mio. oder einen Umsatz von mind. CHF 40 Mio. aufweisen.

Der Bericht gibt Rechenschaft über Umwelt- und Sozialbelange. Das Gesetz erwähnt namentlich CO2-Ziele, Arbeitnehmerbelange, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämpfung der Korruption.

Unternehmen müssen in der Lieferkette Sorgfaltspflichten einhalten und darüber Bericht erstatten...

  • ...wenn sie Zinn, Tantal, Wolfram oder Gold enthaltende Mineralien oder Metalle aus Konflikt- und Hochrisikogebieten in die Schweiz importieren oder hier bearbeiten;

  • ...wenn der begründete Verdacht besteht, dass in ihren Produkten oder Dienstleistungen Kinderarbeit steckt.

Praxis/
Anforderungen an Berichte

Grundsätzlich hat sich bis dato noch keine Praxis etabliert.

Die Anwendung wird einzig bezüglich des Klimas mittels der «Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange» konkretisiert. Gemäss der VO umfassen Klimabelange «die Auswirkungen des Klimawandels auf Unternehmen sowie die Auswirkungen der Tätigkeit von Unternehmen auf den Klimawandel». Dem sagt man doppelte Wesentlichkeit.

Grundsätzlich hat sich bis dato noch keine Praxis etabliert.

Ausnahmen und Anwendung werden in der «Verordnung über Sorgfaltspflichten und Transparenz bezüglich Mineralien und Metallen aus Konfliktgebieten und Kinderarbeit» konkretisiert.

Zu Konfliktmetallen und -mineralien:
Alle Unternehmen müssen prüfen und dokumentieren,

  • ...ob sie die genannten Metalle und Mineralien importieren oder bearbeiten und dabei gewisse Schwellenwerte überschreiten;

  • ...ob diese Metalle/Mineralien ggf. aus einem Konflikt- und Hochrisikogebiet stammen.

Sind beide Bedingungen gegeben, gilt die Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht.

Zu Kinderarbeit:
Von der Sorgfalts- und Berichterstattungspflicht ausgenommen sind:

  • KMU, also Unternehmen, die in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren mindestens zwei der nachstehenden Grössen unterschreiten: Bilanzsumme von CHF 20 Mio.; Umsatz von CHF 40 Mio.; 250 Vollzeitstellen;

  • Unternehmen, die dokumentieren können, dass sie in Ländern tätig sind oder aus Ländern Produkte/Dienstleistungen beziehen, die gemäss UNICEF ein geringes Kinderarbeitsrisiko haben (UNICEF Children’s Rights in the Workplace Index).

Die Ausnahmen gelten nicht, sofern offensichtlich ist, dass in Produkten oder Dienstleistungen eines Unternehmens Kinderarbeit steckt.

Was KMU als ­erstes klären müssen

KMU müssen abklären, ob unter ihren Kunden Grossunternehmen sind, die von ihren Zulieferern Informationen für die eigene Klimaberichterstattung benötigen.

KMU müssen abklären, ob sie Konfliktmetalle oder -mineralien importieren oder bearbeiten und dabei die relevanten Schwellenwerte übertreffen.

KMU müssen abklären, ob es in ihren Lieferketten offensichtliche Kinderarbeit gibt.

Relevante Richtlinien und Standards

Das OR verlangt oder empfiehlt keinen bestimmten Standard zu nichtfinanziellen Berichterstattung. Der Bericht kann sich «auf nationale, europäische oder internationale Regelwerke» stützen. Namentlich erwähnt werden einzig die Leitsätze der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Die VO zur Klimaberichterstattung verlangt de facto, dass gemäss den Empfehlungen der Task Force on Climate-related Financial Disclores (TCFD) Bericht erstattet wird. Allerdings ist es grundsätzlich möglich, auch Richtlinien/Standards anzuwenden.

Die VSoTr schreibt keine bestimmten Standards für die Erfüllung der Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten vor. Sie erachtet diese Pflichten aber erfüllt, wenn sich ein Unternehmen an die folgenden Regelwerke hält:

  • die Übereinkommen Nrn. 1388 und 1829 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO); und

  • das ILO-IOE Child Labour Guidance Tool for Business; und

  • den OECD-Leitfaden vom 30. Mai 2018 für die Erfüllung der Sorgfaltspflicht für verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln; oder

  • die UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte.

Rechtliche ­Durchsetzung

Bussen gemäss dem Strafgesetzbuch, Art. 325ter, für

  1. falsche Angaben,

  2. die fehlende Berichterstattung,

  3. die fehlende Aufbewahrung und Dokumentation der Berichte oder

  4. Fahrlässigkeit.

Diese Vergehen sind Offizialdelikte, weshalb jedermann Anzeige erstatten kann (z.B. auch NGOs).

Entsprechende Regelungen in Deutschland, der EU

  • ab dem Berichtsjahr 2024 die europäische Richtlinie «Corporate Sustainability Reporting Directive» (CSRD, siehe SQS-Blogbeitrag), in Nachfolge der Non-Financial Reporting Directive (NFRD).

  • seit 2023 deutsches Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz;

  • europäische-Richtlinie «Corporate Sustainability Due Diligence Directive» (CSDDD, erwartete Inkrafttretung in 2-3 Jahren).

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