Management, Umweltanforderungen, Soziale Anforderungen

KMU «compliant» halten: das Potenzial von ISO-Managementsystemen für nachhaltige Unternehmensführung

alex.gertschen@sqs.ch

Alex Gertschen

Veröffentlicht am: 18.06.2024

Lesedauer

ca. 5 Minuten

Eine Studie der Fachhochschule Graubünden und der SQS zeigt: Viel mehr Unternehmen als vermutet arbeiten mit ISO-Managementsystemen. Knapp die Hälfte von ihnen findet, dass sie einen grossen oder sehr grossen Beitrag zu Verantwortung und Nachhaltigkeit leisten können. Ausgerechnet jene Branchen, in denen ISO-Managementsysteme am verbreitetsten sind, sehen das (leicht) anders…

Für die Internationale Organisation für Normung (ISO) ist klar: Nach ISO-Normen aufgebaute Managementsysteme (MS) können einen wichtigen Beitrag zur Verantwortung und Nachhaltigkeit von Unternehmen leisten. Wir von der SQS als erster und grösster Zertifizierungsstelle für ISO-MS in der Schweiz teilen diese Überzeugung. Aber wie sehen es die entscheidenden Akteure – nämlich die Unternehmen selbst? 

Um dies herauszufinden, haben wir mit der Fachhochschule Graubünden für eine repräsentative Umfrage bei 500 Unternehmen zusammengearbeitet (vgl. Kasten). Die beiden wichtigsten Resultate sind: Rund die Hälfte der Unternehmen findet, dass ISO-MS einen grossen oder sogar sehr grossen Beitrag zu einer verantwortungsvollen und nachhaltigen Unternehmensführung leisten können. Das ist umso bedeutsamer, als – zweite Erkenntnis – unter den Unternehmen mit 10 bis 1000 Mitarbeitenden fast jedes zweite (!) ein ISO-MS hat oder einführen wird. ISO-MS sind demnach ein verbreitetes Instrument, das politische und unternehmerische Initiativen zur Stärkung der Verantwortung und Nachhaltigkeit der Privatwirtschaft nutzen sollten. 

Aber der Reihe nach… 

 

Die Annahme: Wie ISO-MS bezüglich Verantwortung und Nachhaltigkeit wirken 

Die Kernnormen zu Qualitätsmanagement (ISO 9001:2015), Umweltmanagement (ISO 14001:2015) und zum Management des Arbeits- und Gesundheitsschutzes (ISO 45001:2018) stärken die Unternehmensleistung in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen der Ökonomie, Ökologie bzw. Gesellschaft. Auch andere Normen decken wichtige Nachhaltigkeitsaspekte ab, z.B. ein effizientes und umweltschonendes Energiemanagement (ISO 50001:2018) oder die Antikorruption (ISO 37001:2016). 

Die sogenannte harmonisierte Struktur erleichtert die Integration mehrerer Normen in einem ISO-MS, und sie gewährleistet, dass sich grundsätzlich alle ISO-MS an den Bedürfnissen verschiedener Anspruchsgruppen ausrichten. Damit nehmen diese einen Kernaspekt verantwortungsvoller und nachhaltiger Unternehmensführung auf. Last, but not least: Mit der SN EN ISO 26000:2021 gibt es auch eine – nicht als MS zertifizierbare – Norm, die als Leitfaden für die gesellschaftliche Verantwortung von Organisationen dient. 

Bei alledem sei betont: Ein MS, das zum Beispiel die Normen ISO 9001:2015, ISO 14001:2015 und ISO 45001:2018 integriert, bewirkt nicht zwingend eine nachhaltige Unternehmensführung. Es ist ein Instrument hierfür. Nicht mehr und nicht weniger. 

Zur Studie 

Die Studie der Fachhochschule Graubünden (FHGR) und der SQS, auf der dieser Blogbeitrag basiert, können Sie hier herunterladen. 

Der Studie liegt eine Umfrage zugrunde, die vom 15. bis 31. Dezember 2023 anhand einer repräsentativen Online-Befragung durch das Luzerner Marktforschungsinstitut AmPuls durchgeführt wurde. Die Grundgesamtheit bilden Unternehmen in der Schweiz mit 1 bis 1000 Mitarbeitenden. In 56 Prozent der Interviews wurden der Eigentümer, die Inhaberin oder Teilinhaberin, oder der angestellte Geschäftsführer des Unternehmens befragt, in 30 Prozent der Leiter der Administration, des Finanz- und Rechnungswesens, der Personalabteilung oder der Bereiche Logistik, Marketing und Kommunikation. In den restlichen 14 Prozent der Interviews gaben Personen mit anderen Funktionen Auskunft. 53 Prozent von ihnen waren Männer und 47 Prozent Frauen. 

Die Autoren der Studie sind Prof. Dr. Christian Hauser, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Internationales Management am Schweizerischen Institut für Entrepreneurship der FHGR, sowie Dr. Alex Gertschen, Leiter Kommunikation und Vernetzung der SQS sowie assoziierter Forscher am Center for Global Studies der Universität Bern und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen. 

Die Resultate: Anwendung und Bedeutung von ISO-MS für die Unternehmen

1. Weit verbreitete ISO-MS: Knapp jedes sechste Schweizer Unternehmen arbeitet mit einem ISO-MS oder plant, im Jahr 2024 eines einzuführen. Überdurchschnittlich hoch ist dieser Wert bei Unternehmen mit 10 bis 1000 Mitarbeitenden. In dieser Grössenklasse hat knapp die Hälfte der Unternehmen ein ISO-MS implementiert oder plant dies in den nächsten Monaten zu tun. Bei den kleinen Unternehmen mit 10 bis 49 Mitarbeitenden sind es 45 Prozent, bei den mittleren Unternehmen (50 bis 1000 Mitarbeitende) 57 Prozent. Unterdurchschnittlich ist dieser Wert bei den Kleinstunternehmen mit 9 und weniger Mitarbeitenden. Dort ist es rund jedes achte Unternehmen. 
 

2. Anwendung in vielfältigen Kontexten: ISO-MS sind in ganz unterschiedlichen Branchen bzw. Sektoren bekannt und in Anwendung. Bei den Unternehmen der Fabrikation und Produktion (ausser dem Gewerbe und Handwerk) arbeitet knapp die Hälfte mit einem ISO-MS, den übrigen sind die entsprechenden Normen bekannt. Ebenfalls die Hälfte der öffentlichen Verwaltungen und sonstigen Organisationen des öffentlichen Sektors wendet ISO-MS an oder plant diese einzuführen. Weitere 36 Prozent kennen die Normen.

 

3. (Potenzielle) Nachhaltigkeitswirkung bestätigt: Im Schnitt meint knapp die Hälfte der Unternehmen, die sich zur Frage äusserten: ISO-MS können einen grossen Beitrag (36 Prozent) oder sehr grossen Beitrag (13 Prozent) zur Nachhaltigkeit und Verantwortung von Unternehmen leisten. Diese Einschätzung gilt insbesondere für die ISO 9001 für Qualitätsmanagement (37 bzw. 17 Prozent), die ISO 14001 für Umweltmanagement (39 bzw. 14 Prozent) – die beiden am weitesten verbreiteten ISO-MS-Normen –, sowie für die ISO 50001 zu Energiemanagement (41 bzw. 11 Prozent). 

 

Norm 

Überhaupt kein Beitrag 

Geringer Beitrag 

Grosser Beitrag 

Sehr grosser Beitrag 

ISO 9001 

11% 

35%

37%

17%

ISO 14001* 

16%

32%

39%

14%

ISO 37001 

22%

35%

32%

11%

ISO 50001 

18%

30%

41%

11%

* Aufgrund von Rundungen ergibt die Summe der Prozentangaben nicht 100. 

 

Ausgerechnet in jenen Branchen, in denen die Bekanntheit und Anwendung von ISO-MS am grössten sind – in der Fabrikation und Produktion – erkennen unterdurchschnittlich viele Befragte den Beitrag zu Nachhaltigkeit und Verantwortung. Für diese Branchen liegt der entsprechende Indexwert bei 2,40 (wobei 1 der geringste und 4 der höchste Wert ist), für alle Branchen liegt er bei 2,46. 

 

Die Interpretation: Wie wir die Resultate einschätzen

  • Praktische Relevanz viel grösser als vermutet: Laut der letzten der jährlich durchgeführten ISO-Umfragen gab es 2022 in der Schweiz rund 12'000 zertifizierte ISO-MS. Die Studienresultate verdeutlichen, dass die tatsächliche Verbreitung weitaus grösser ist. Wenn knapp jedes sechste Unternehmen ein ISO-MS betreibt oder 2024 einführen wird und es gemäss Bundesamt für Statistik insgesamt knapp 610'000 Unternehmen im Land gibt, betreiben aktuell oder alsbald gut 97'000 Unternehmen ein solches Managementsystem. 

  • Wirkungspotenzial längst nicht ausgeschöpft: Gemäss vielen SQS-Kunden dient die Zertifizierung nicht nur als Nachweis und dem Marktzugang. Der Austausch und die Anregungen, die sich im Rahmen eines Audits ergeben, sind äusserst wichtig für die Weiterentwicklung und Leistungsverbesserung ihrer ISO-MS. Angesichts der grossen Anzahl nicht zertifizierter ISO-MS bedeutet dies, dass deren Wirkungspotenzial – auch für eine verantwortungsvolle und nachhaltige Unternehmensführung – bei weitem nicht ausgeschöpft ist. Für eine Vereinigung wie die SQS, die den statutarischen Auftrag hat, die Leistungsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft zu fördern, ist dies eine Verpflichtung und Chance zugleich. 

  • ISO-MS (wieder) zu C-Level-Thema machen: Dass Fabrikations- und Produktionsbetriebe ISO-MS am häufigsten anwenden, deren Potenzial für Verantwortung und Nachhaltigkeit aber geringer als andere einschätzen, legt nahe: Gerade auf der Geschäftsleitungsebene muss das Bewusstsein geschaffen werden, dass ISO-MS Instrumente für die Erreichung verschiedener strategischer Ziele sind. Die Fabrikation und Produktion waren die ersten Bereiche, in denen die ISO ab den 1980er-Jahren die Qualitätssicherung und später das umfassendere Qualitätsmanagement normierte – zu einer Zeit, als Nachhaltigkeit kein verbreitetes Ziel der Unternehmensführung war. Zunächst ein C-Level-Thema, wurde das Qualitätsmanagement zunehmend zu einer an Stabsstellen oder spezialisierte Abteilungen delegierten Aufgabe. Diese Institutionalisierung dürfte ein wichtiger Grund gewesen sein, dass Qualität – und mit ihr das Instrument der ISO-MS – aus dem Blickfeld vieler Geschäftsleitungen verschwunden ist. Die SQS fördert deshalb gezielt den Austausch mit und zwischen den Geschäftsleitungen ihrer Kunden, um bewusst zu machen, dass Verantwortung und Nachhaltigkeit strategische Aufgaben sind und ISO-MS ein grosses Potenzial bergen, um sie umfassend und integriert anzugehen. 

  • KMU «compliant» halten: Die Europäische Union, ihre Mitgliedsstaaten und in deren Zuge auch die Schweiz haben neue Anforderungen an die Nachhaltigkeit von Unternehmen erlassen. Obwohl die Umsetzung in den Anfängen steckt und es noch kaum Erfahrungswerte gibt, steht zu befürchten, dass viele KMU überfordert und damit aus dem Markt gedrängt werden. In diesem Kontext stellt sich folgende Aufgabe: Wir müssen ISO-MS (besser) nutzen, um KMU im neuen regulatorischen Umfeld «compliant» zu halten. Wie können ISO-MS für eine effektive und effiziente Datenverwaltung für die Nachhaltigkeitsberichterstattung genutzt werden? Wie können sie Nachhaltigkeitsstandards, insbesondere den neuen europäischen Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS), verknüpft werden? Zur Beantwortung dieser und damit verknüpfter Fragen braucht es mehr empirisches Wissen und neue, einfache Instrumente. Die SQS arbeitet mit Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft zusammen, um ihren Beitrag zur Bewältigung dieser Gemeinschaftsaufgabe zu leisten. 

 

Nächste Schritte: Wie es weitergeht 

Anfang Juli 2024 gewährt die SQS der Arbeitsgruppe Gastrecht, die mit der Revision der ISO 14001:2015 beauftragt ist. In diesem Rahmen organisieren wir eine Sitzung zum Thema «ISOxESG», an der u.a. ein Vertreter des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und der Verantwortliche der ISO für die Normenentwicklung ihre Pläne und Aktivitäten bezüglich einer «klugen» Kombination («smart mix») von staatlichen und privaten Regeln für eine nachhaltige Unternehmensführung vorstellen werden.

Im Oktober organisieren wir das SQS-Rendezvous für unsere Mitgliedsorganisationen und das SQS-Unternehmensforum für unsere Kunden. An beiden Veranstaltungen werden wir mit C-Level-Entscheidungsträger/innen das Thema «Nachhaltigkeitsberichterstattung: Regeln und Praxis für Schweizer Unternehmen» sowie folgende Fragen erörtern: 

  • Welches sind die heutigen und zu erwartenden internationalen Entwicklungen im Bereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung? 

  • Was sind die Herausforderungen für Schweizer Unternehmen – insbesondere KMU –, um die entsprechenden Anforderungen zu erfüllen? 

  • Welchen Spielraum haben Schweizer Akteure (Gesetzgeber, Verwaltung, Verbände, etc.), um die entsprechenden Anforderungen/Regelungen KMU-kompatibel mitzugestalten? 

  • Wie können die Schweizer KMU unterstützt/befähigt werden, um diese Anforderungen zu erfüllen?

Mit solchen und weiteren Massnahmen arbeiten wir daran, das Potenzial von ISO-Managementsystemen für eine nachhaltige Unternehmensführung weiterzuentwickeln, bekannt zu machen und bestmöglich auszuschöpfen.

 

 

 

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