«Der präventive Umgang mit Naturereignissen gehört für uns zum Tagesgeschäft.» Asset-Management in den Alpen
Veröffentlicht am: 13.02.2025
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Die Matterhorn Gotthard Bahn (MGBahn) hat als Betreiberin einer anspruchsvollen Gebirgsstrecke eine langjährige Tradition im Instandhalten und Bewirtschaften ihrer Infrastruktur. Um dies noch systematischer und effizienter zu tun, hat die MGBahn ihr Asset-Management als erste Eisenbahn der Schweiz nach ISO 55001 zertifizieren lassen. Wir haben mit Richard Schmid, Leiter des Ressorts Anlagen und Technologie, gesprochen.
Die Matterhorn Gotthard Bahn (MGBahn) ist berühmt für ihre spektakulären Strecken durch hochalpine Landschaften, die auf 144 Meterspur-Kilometern das Wallis mit dem Graubünden verbinden. Wo anderswo Stellwerksausfälle zu den häufigen Ursachen für Unterbrüche zählen, spielen hier Naturgefahren wie Lawinen, Felsstürze oder Murgänge zusätzlich eine grosse Rolle.
«Gerade im Winter erleben wir, dass Lawinen oder zumindest die Lawinengefahr ebenso für Ausfälle sorgen wie technische Pannen. Das gehört für uns zum Tagesgeschäft», sagt Richard Schmid. Als Leiter des Ressorts Anlagen und Technologie kennt er das Risikoprofil der Panoramastrecke über 170 Brücken sowie durch 84 Tunnels und Galerien genau – und weiss, dass ein vorausschauendes, nachhaltiges Infrastrukturmanagement hier das A und O ist. Im Fachjargon spricht man auch von Asset-Management, der «Verwaltung (physischer) Anlagewerte».
Von der Organisation zur Zertifizierung
Dass der viertgrösste Bahnbetrieb der Schweiz sich heute auf ein zertifiziertes Asset-Management stützen kann, ist das Ergebnis eines längeren Entwicklungsprozesses. Bereits 2014 wurde die Organisation neu aufgestellt. «Damals haben wir erstmals eine vollständige Übersicht über alle Anlagen erstellt – von Fahrbahnen und Brücken über Sicherungsanlagen bis zu Schneeschleudern», erinnert sich Schmid.
Auslöser war unter anderem ein Netzzustandsbericht, den das Bundesamt für Verkehr (BAV) im Rahmen des Regelwerks der Technik (RTE) vorschrieb. Auf dessen Basis wurde eine ganzheitliche Struktur für die Bewirtschaftung der gesamten Strecke aufgebaut und das Budget entsprechend neu ausgerichtet.
2018 kam eine Reifegradmessung hinzu, um mögliche Schwachstellen im bestehenden System aufzudecken. «Wir erkannten, dass wir zwar eine funktionierende Struktur hatten, jedoch noch mehr Transparenz und Prozesssicherheit benötigten», so Schmid. Zwei Jahre später folgte dann die Empfehlung des BAV, das Thema Asset-Management weiter zu professionalisieren.
«Unsere Infrastruktur wird vom Bund finanziert, aber wir sind verantwortlich für die Langfristplanung, die Projektierung sowie den Betrieb und die Instandhaltung», betont Schmid. «Eine Brücke zum Beispiel ist auf 80 Jahre ausgelegt. Wir müssen sicherstellen, dass wir in dieser Zeit immer die richtigen Entscheidungen treffen und unsere Prozesse kontinuierlich überprüfen.»

Richard Schmid
Leiter Anlage und Technologie bei Matterhorn Gotthard Bahn
Warum ISO 55001 eine gute Basis schafft
Mit diesen Vorgaben im Hinterkopf fiel der Entscheid, das Infrastrukturmanagement des gesamten Schienennetz nach ISO 55001 zertifizieren zu lassen. Für Schmid ist die Norm weit mehr als ein reiner Formalismus: «Sie hilft uns, unsere strategischen Leitplanken klar zu definieren und im Alltag konsequent anzuwenden.» Ein wichtiges Thema unter mehreren ist dabei der Umgang mit Naturgefahren. Während zuvor eher einzelfallbezogene Lösungen gesucht wurden, werden heute Korridorplanungen erstellt und Risikobewertungen durchgeführt. «Dank klarer Prozesse wissen wir genau, welche Stellen am anfälligsten sind, wo wir präventiv investieren sollten und wie wir die begrenzten Budgetmittel am effizientesten einsetzen», erklärt Schmid.
Dabei kommt der Zusammenarbeit mit der SQS eine besondere Bedeutung zu: «Die unabhängige Perspektive ist wichtig, um mögliche blinde Flecken aufzudecken und uns zusätzliche Impulse zu geben», sagt Schmid. «Gerade ein neutraler Partner liefert wichtige Anstösse, mit denen wir unsere Prozesse weiter optimieren können.»
Ein weiterer Schub für die Zertifizierung sind die Leistungsvereinbarungen mit dem Bund, in denen festgelegt wird, wie hoch das Budget zur Erhaltung der Infrastruktur ist und welche Ziele damit erreicht werden sollen. «Durch die Zertifizierung können wir belegen, dass wir langfristig und ressourcenschonend wirtschaften, was gerade für ein Unternehmen mit öffentlichem Auftrag essenziell ist.»
Synergien mit ISO 9001 und spürbarer Nutzen im Alltag
Auch wenn die Zertifizierung nach ISO 55001 neu war, konnte die alpine Bahnbetreiberin auf wichtige Erfahrungen zurückgreifen: Sie arbeitet seit 2005 mit einem Qualitätsmanagementsystem nach ISO 9001. «Damit hatten wir schon ein Fundament an Abläufen und Dokumentationen, an das wir anknüpfen konnten», sagt Schmid. Die Verbindung von Qualitäts- und Asset-Management mündete schliesslich in ein umfassendes Managementsystem, das für mehr Effizienz und Transparenz sorgt. Heute verfügt die MGBahn über ein Integriertes Managementsystem (IMS), das auch zusätzliche, nicht zertifizierte Bereiche wie Sicherheitsmanagementsystem für Eisenbahnen, Arbeitssicherheit oder Informationssicherheit aber auch Nachhaltigkeit beinhaltet.
Im täglichen Betrieb zeigen sich die Vorteile besonders deutlich. «Mit den klar definierten Prozessen haben wir ein zuverlässiges Instrument zur Entscheidungsfindung und wissen, wo wir ansetzen müssen und in welche Massnahmen wir das Geld stecken sollten», erklärt Schmid. Statt auf einzelne Ereignisse zu reagieren, hat die MGBahn einen langfristigen Investitionsplan, der sowohl Kosten als auch Sicherheitsaspekte einschliesst.
Doch nicht nur die Wirtschaftlichkeit, sondern auch die Umwelt rückt stärker in den Blick: «Wir analysieren heute bewusster den CO₂-Fussabdruck unserer Bau- und Sanierungsprojekte und erstellen Biodiversitätsberichte für entlang der ganzen Strecke», so Schmid. Damit folgt die MGBahn den Vorgaben des Bundes, geht aber auch eigene Wege, um eine nachhaltige Unternehmensentwicklung zu gewährleisten.
Mehr Ressourcen für Naturgefahren
Ein positiver Effekt der Zertifizierung zeigt sich auch am Beispiel der Ressourcenplanung. «Wir haben erkannt, dass wir im Bereich Naturgefahren mehr Kapazitäten brauchen», erklärt Schmid. «Wo vorher eine Person 20 Prozent ihrer Zeit investierte, setzt die MGBahn nun eine Vollzeitstelle ein.»
Das ist nur ein Beispiel von vielen, das aufzeigt, dass das Asset-Management nicht nur auf dem Papier existiert, sondern in den konkreten Alltag übergeht. «Wenn wir etwas machen, dann richtig – das gehört zur Unternehmenskultur», sagt Schmid. Er selbst hat sich laufend im Bereich Asset-Management weitergebildet und bringt seine langjährige Expertise ein: «Gerade bei Bahnen, die subventioniert sind, ist es wichtig, dass wir diese unternehmerische Denkweise etablieren.»
Sicherheit und Nachhaltigkeit im Gleichklang
Die Matterhorn Gotthard Bahn zeigt eindrücklich, wie ein zertifiziertes Asset-Management nach ISO 55001 unter anspruchsvollen Bedingungen funktioniert. Es sorgt für klare Strukturen, langfristige Sicherheit und ökologische Verantwortung.
«Für Reisende bedeutet das, dass wir im Hinblick auf Zuverlässigkeit weiter zulegen», fasst Schmid zusammen. Allerdings: Auch mit modernster Überwachungs- und Sicherungstechnik kann man Naturgefahren nicht komplett ausschalten. Doch mit einem durchdachten Asset-Management können die Risiken deutlich reduziert und die Mittel bestmöglich eingesetzt werden.
In diesem Sinne betrachtet Schmid die ISO 55001-Zertifizierung als langfristiges Bekenntnis: «Als anlagenintensives Unternehmen müssen wir besonders sorgfältig mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen. Die erfolgreiche Zertifizierung zeigt, dass wir im Asset Management auf dem richtigen Weg sind, die Prozesse weiter reflektieren und uns kontinuierlich verbessern»
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