China und die Schweiz: Beziehungsstatus kompliziert
Veröffentlicht am: 28.10.2021
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Menschenrechtsverletzungen und immer neue Eingriffe in die Wirtschaftsfreiheit – die Volksrepublik China macht regelmässig negative Schlagzeilen. Entsprechend herausfordernd präsentiert sich die Lage für die offizielle Schweiz und hiesige Unternehmen mit Ambitionen im Reich der Mitte. Denn bei der handelspolitischen Gratwanderung gilt es, unseren Werten treu zu bleiben.
Als 2014 das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China in Kraft trat, herrschte unter der Bundeshauskuppel fast eitel Sonnenschein. Eine solide politische Mehrheit feierte es als grossen aussenpolitischen Erfolg, dass Schweizer Unternehmen nun viele ihrer Güter zu einem reduzierten Zollsatz oder gar zollfrei in den riesigen chinesischen Markt einführen konnten. Gewisse Kreise äusserten zwar schon damals Bedenken wegen der Menschenrechtslage im Reich der Mitte, blieben mit ihrer Forderung nach einem entsprechenden Zusatzprotokoll jedoch chancenlos.
Heute ist die vorherrschende Stimmungslage in der Schweizer Politik eine andere. «Innerhalb von nur sieben Jahren hat der Wind gedreht», sagte China-Kenner Ralph Weber anlässlich der SQS-Beiratssitzung, die nach über zwei Jahren wieder als physisches Treffen auf der Geschäftsstelle in Zollikofen durchgeführt werden konnte. Angesichts der im Raum stehenden Erneuerung des Freihandelsabkommens komme viel Druck aus dem eidgenössischen Parlament, konstatierte der Basler Uniprofessor gleich zu Beginn seines Referats «China und die Schweiz: eine zunehmend schwierige Beziehung?»
Neuer Klartext provoziert China
Die China-Strategie 2021 – 2024 des Bundes, die Aussenminister Ignazio Cassis Mitte März präsentierte, verwende denn auch eine deutliche und teils scharfe Sprache, betont Weber. «Es wird beispielsweise unverblümt angesprochen, wie problematisch es um die Menschenrechte in China steht.» Weniger deutlich ausgefallen sei das Grundlagenpapier hingegen bezüglich der zu ergreifenden Massnahmen. So will sich der Bund primär besser koordinieren und die eigene China-Kompetenz stärken.
Die geharnischte chinesische Reaktion liess dennoch nur wenige Tage auf sich warten: Der Botschafter der Volksrepublik tadelte die offizielle Schweiz in einer Medienkonferenz für deren strengere Töne. Und erst kürzlich war in der NZZ zu lesen, dass China das Freihandelsabkommen nicht erneuern wolle, wenn die Schweiz – als Folge des parlamentarischen Drucks – weiterhin auf die Einbindung der Menschenrechtsfrage poche.
Integral neutral: eine Schweizer Illusion
Im neuen China-Strategiepapier steht, dass sich die Schweiz als neutrales Land keinem Block zugehörig und dem Dialog mit allen Staaten verpflichtet fühlt. Dazu passt der nach wie vor ausstehende Entscheid, ob sich die Schweiz den EU-Sanktionen gegen China anschliesst. In jüngerer Zeit wird gar wieder mit der Rückkehr zu einer integralen Neutralität geliebäugelt. Hier ortet Weber beträchtliches Spannungspotenzial. «Das ist wohl Wunschdenken. Eine solch absolute Aussage wird von keiner Seite mehr akzeptiert.»
Heute gilt es gemäss Weber, zwischen der Zusammenarbeit in Werteblöcken und der Unterstützung einer Grossmachtpolitik zu unterscheiden. Das sei eine anspruchsvolle Aufgabe, die uns in nächster Zeit beschäftigen werde. «Selbst als neutrales Land können wir etwa mit den USA gemeinsame Sache machen, wenn es um Werte geht, die wir auch allein vertreten würden», erläutert Weber anhand eines Beispiels. Und schliesslich betone ja auch der Bundesrat in seiner Strategie, dass die Schweiz bezüglich Werten den europäischen Staaten und der EU naturgemäss sehr nahestehe.
Berechtigte Kritik oder «China-Bashing»?
Für den Wirtschaftsdachverband Economiesuisse ist und bleibt die Schweiz «ein neutraler Kleinstaat». In seiner Stellungnahme zur bundesrätlichen China-Strategie spricht er sich entsprechend deutlich gegen «repressive Massnahmen» wie Sanktionen und Investitionskontrollen aus. Stattdessen will er weiterhin die Maxime «Wandel durch Handel» hochhalten. Politische und gesellschaftliche Reformen betrachtet Economiesuisse damit nach wie vor als die logische Folge von gegenseitigen Handelsbeziehungen. «Dass dies nicht so einfach funktioniert, haben die letzten zwanzig Jahre gezeigt», betont Weber. Jegliche Kritik am derzeit erwiesenermassen ineffektiven Leitsatz bezeichne Economiesuisse jedoch polemisch als «China-Bashing».
Doch auch der Wirtschaftsdachverband konstatiert, dass sich in den letzten Jahren die Situation bezüglich der Grundrechte generell verschlechtert hat. Gleichwohl will er am «bewährten Gefäss des Menschenrechtsdialogs» festhalten. «Man darf sicher kritisch nachfragen, für wen sich dieses bewährt hat …», so Weber. «Sicher nicht für die unzähligen Menschen, die unter den Menschenrechtsverletzungen leiden.» Weber attestiert den Berner Behörden zwar grundsätzlich eine gute Arbeit, doch die konkreten Erfolge seien dünn gesät und am ehesten im chinesischen Strafvollzug zu erkennen.
Chinesische Ideologie als Machtfaktor
Und der Dialog mit dem Reich der Mitte dürfte nicht einfacher werden. Seit 2013 vereint dort Xi Jinping als Staatspräsident, Generalsekretär der Kommunistischen Partei (KP) und Vorsitzender der Militärkommission viel Macht in seiner Person. «Heute wird oft so getan, als habe sich in China unter seiner Führung alles verschlechtert, da er wieder stärker ideologisiere. Doch die Ideologie war in der Volksrepublik schon immer sehr präsent, deren Grundfesten haben sich nie geändert», sagt Weber. Selbst der «wirtschaftliche Öffner» Deng Xiaoping habe etwa am Ziel festgehalten, den vorübergehend geduldeten Kapitalismus letztlich zu überwinden.
«Man kann sich mit gutem Recht fragen, ob und inwieweit die Parteiführung heute an ihre eigene Ideologie glaubt.» Unabhängig davon sei sie aber für die KP als manipulatives Machtinstrument von grossem Nutzen und werde als Mittel zum Zweck entsprechend ernst genommen, betont Weber. «Die von der Partei verwendete kriegerische Rhetorik müssen wir im geschichtlichen Kontext sehen – und weder überbewerten noch ignorieren.»
Politischer Druck auf Wirtschaft steigt
Unter Xi Jinping zeichnet sich in den letzten Jahren im Reich der Mitte eine zunehmende autoritäre Schliessung ab. «Die Entwicklung in der Volksrepublik China verläuft immer schneller. Die KP zieht inzwischen mit einer ganzen Maschinerie die Schrauben an, die Repression nimmt zu», so Weber. Die Wirtschaft sei davon lange Zeit verschont geblieben, um deren Funktionieren zu gewährleisten. Heute gehen Fachleute davon aus, dass Xi Jinping bei seinem Amtsantritt ein Doppelmandat erhalten habe: Die Wirtschaft am Laufen halten, die Partei disziplinieren.
Doch die Anzeichen mehren sich, dass nun auch die Wirtschaft zunehmend unter politischen Einfluss gerät. Die Rolle der schon länger existierenden Parteikomitees in den chinesischen Unternehmen ändere sich gerade, weiss Weber beispielsweise zu berichten. «Seitens der Partei will man künftig etwa in die Personalpolitik eingreifen und auf die Rechnungsprüfung Einfluss nehmen.» Die offizielle Begründung für das Vorgehen: Privatfirmen seien Nutzniesser des aktuellen Systems und sollen nun helfen, dieses zu beschützen.
Definierte rote Linien auch einhalten
Bei solchen Signalen der KP leuchtet auch in der hiesigen Wirtschaft die Warnlampe. Die Autoren einer von Swissmem, dem Branchenverband der Schweizer Maschinenbauer, in Auftrag gegebenen Studie haben sich Mitte Juli dafür ausgesprochen, die politischen Faktoren in die Strategie-Planung für den chinesischen Markt einzubeziehen. Diese würden sich «zunehmend auf die Geschäftstätigkeit in China auswirken».
Weber teilt diese Einschätzung. Auch die Wirtschaftsakteure würden mehr und mehr den Druck der Partei spüren. Für die in China ansässigen Tochterfirmen von Schweizer Unternehmen stellt sich deshalb die zentrale Frage, wie sie damit umgehen sollen. Weber fordert eine bedingte Kooperation mit Akteuren in der Volksrepublik China, die glaubhaft wertebedingt ist. «Dabei geht es darum, klare rote Linien zu definieren – und diese auch einzuhalten. Nur so können wir den in der Bundesverfassung genannten Werten treu bleiben.» Und was für private Unternehmen gilt, gelte auch für den Staat, so Weber weiter.
Was es jetzt brauche, sei eine branchen- und sektorspezifische, differenzierte und ergebnisoffene Debatte zur Schweizer China-Strategie und der Rolle der Privatwirtschaft. Wirtschaftsinteressen und Menschenrechte sollten nicht als Gegensätze beschrieben werden, sagt Weber. Schweizer Unternehmen, die sich auch künftig in China engagieren wollen, werden also auf Beratungsangebote angewiesen sein, welche die politischen Entwicklungen im chinesischen Parteistaat auch jenseits des Wirtschafts- und Rechtsbereichs verfolgen, aufbereiten und vermitteln. «Auch Wirtschaftsakteure sind dazu angehalten, ihren Beitrag zur Einhaltung der Menschenrechte zu leisten», sagt Weber in Anlehnung an den Nationalen Aktionsplan «Wirtschaft und Menschenrechte».
Zur Person
Dr. Ralph Weber ist Professor am Europainstitut der Universität Basel. Der ausgewiesene China-Kenner wurde 1974 in Johannesburg in Südafrika geboren und studierte Staatswissenschaften (Politikwissenschaft, Ökonomie und Recht) an der Universität St. Gallen sowie am Genfer «Institut de Hautes Études Internationales et du Développement». Darauf folgten Studienaufenthalte an der Universität Hawai'i in Manoa und an der Universität Peking.
Von 2008 bis 2014 arbeitete er als Oberassistent im universitären Forschungsschwerpunkt «Asien und Europa» an der Universität Zürich. Im Dezember 2014 nahm Ralph Weber seine Arbeit als Professor für European Global Studies an der Universität Basel auf. Seine Habilitation in Philosophie schloss Weber 2016 an der Universität Zürich erfolgreich ab. Von 2017 bis 2021 war er Präsident der Europäischen Vereinigung für Chinesische Philosophie.
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